Wieso mich Dogmen in der Erziehung stören

Kürzlich blätterte ich in einem Erziehungsratgeber. Interessantes Thema, eine Fragestellung, die mich schon länger beschäftigte. Aber ich kam nicht weit mit dem Lesen. Denn wohin ich auch blätterte, mich verfolgte ein erhobener Zeigefinger. Am Ende blieb ein schaler Geschmack und irgendwie das Gefühl: Ich als Mama mache eigentlich alles falsch. Sprich: Ich habe versagt, weil ich es nicht so mache, wie beschrieben. Ich las die Dialoge, die als Problemlösung aufgeschrieben waren und fühlte mich erneut: schuldig. Und dachte mir: „Wer zum Teufel redet so?“ Wenn das die Lösung sein sollte (und laut Buch die einzige wahrhaftige echte umsetzbare und beste Lösung), dann versagen die Mütter in meinem engeren und weiteren Bekanntenkreis reihenweise. Regelmäßig.  

Wieso wird Erziehung oder ganz genauso das „in Beziehung gehen“ oft so dogmatisch gesehen?

Wieso gibt es so oft nur schwarz und falsch?

Wieso wird uns Müttern ständig mit dem erhobenen Zeigefinger vor der Nase herumgefuchtelt?

Es ist ja nicht nur in einer Reihe von Büchern der Fall. Noch schlimmer ist das Internet. Insbesondere die sozialen Medien. Da ist teilweise ein echter Wettbewerb darum entbrannt, wer die jeweiligen „Regeln“ der jeweiligen Erziehungsrichtung am besten und am konsequentesten umsetzt.

Das mit den Wettbewerben scheint ja so ein Mütterding zu sein. Fängt an bei den Entwicklungsfortschritten des Babys („Wie, deine Maus kann noch nicht laufen? Sie ist doch schon 12 Monate alt. Also meine Maus konnte schon mit 10 Monaten laufen.“), geht weiter bei der Deko der Kindergeburtstagsparty und den Inhalten der Mitgebseltüte und hört damit noch lange nicht auf. Wer stillt am längsten? Wahlweise auch, wer stillt am kürzesten? Wer schläft am wenigsten, wer am meisten? Wer geht am besten in Beziehung und wessen Kinder hören am besten auf das, was die Eltern sagen? So geht es ewig weiter. Als sich im Rückbildungskurs eine Mutter fast schon demütig ungefragt anfing sich zu rechtfertigen und zu entschuldigen, dass sie nicht stillen kann, fragte ich mich: Wohin sind wir denn gekommen?! Wieso haben Frauen heutzutage ständig das Gefühl sich rechtfertigen zu müssen? Zu Dingen, die eine total private Entscheidung sind?

IMG_4702

Ich weiß, die sozialen Medien sind kein echtes Abbild der Realität. Jedenfalls hoffe ich das regelmäßig.

Aber wenn man sich da so durch den Feed scrollt, dann wundert man sich nicht nur über den oft so rüden Umgangston, sondern vor allem darum, wie verbissen die Regeln der jeweils gewählten Erziehungsrichtung befolgt werden. Und immer wieder staune ich über Mütter, die tatsächlich die vorgeschlagenen Dialoge aus ihren Erziehungsbibeln auswendig lernen und total außer Fassung geraten, wenn das Kind sich eben nicht an diesen Dialog hält und was ganz anderes antwortet, als im Buch steht. Kinder sind nun mal kleine Anarchisten und kümmern sich nicht darum, welchen einfühlsamen Dialog man nun laut Erziehungsratgeber XY führen müsste.

Aber funktioniert Erziehung wirklich so? Indem man sich streng irgendwelchen Dogmen unterwirft? Indem man Dialoge auswendig lernt, um in Problemsituationen gewappnet zu sein? Ganz ehrlich: Ich finde nicht.

Eltern sind nun mal keine Roboter – Kinder auch nicht

Natürlich sind bestimmte Regeln hilfreich. Natürlich ist man dankbar über Hilfestellungen wie Beispieldialoge. Aber das geht doch auch alles ohne erhobenen Zeigefinger. Das geht doch auch ohne dass man sich schlecht fühlt, weil man eben nicht immer den Nerv hat und nicht immer die verständnisvolle Mami ist, die man laut „Erziehungsrichtlinie“ in diesem Moment sein müsste. Wir sind ja schließlich keine Roboter. Und unsere Kinder auch nicht.

Und glücklicherweise sind wir alle verschieden. Haben verschiedene Charaktere, ein unterschiedliches Temperament. Wir haben alle unsere eigenen Motive  für unser Handeln. Jede Familie hat ihr eigenes Lebensmodell. Und deshalb funktioniert das nicht mit dem Dogma in der Erziehung. Man kann sich nicht einfach ein Modell überstülpen.

Wir Eltern sind nun mal keine Maschinen.

Und deshalb müssen wir uns auch nicht schlecht fühlen, wenn wir eben nicht immer so verständnisvoll reagieren, wie die Vorzeigemutter im Beispieldialog auf Seite 708. Oder war es Seite 709? Wir müssen kein schlechtes Gewissen haben, wenn wir mal die Fassung verlieren. Und schon gar nicht müssen wir uns sklavisch an bestimmte Regeln halten. Es ist erlaubt, sich aus mehren Schubladen zu bedienen. Sich das herauszupicken, was zu einem selbst, zu den Kindern und der Familiensituation passt. Wir sind alle Individuen. Und deshalb mag ich keinen erhobenen Zeigefinger in Erziehungsratgebern. Und ich mag keine Diskussionen in sozialen Netzwerken, die andere verurteilen, ohne ihre Gründe zu kennen. Niemand ist perfekt und niemand muss es sein.

Ich finde einfach, jeder muss seinen eigenen Weg gehen – vor allem in der Erziehung.

Und es steht niemanden zu, andere für ihren Weg zu kritisieren. Erziehungsratgeber sind nützlich und helfen weiter, geben Sicherheit und beantworten viele Fragen. Aber wir sollten hin und wieder auch unserem Bauchgefühl vertrauen. Und Ratgeber als das sehen, was sie sein sollten: So etwas wie Leitplanken auf der Autobahn. Sie weisen einen Weg, sie schützen uns, helfen uns, den Weg zu finden. Aber wie wir den Weg gestalten und wo wir die Autobahn verlassen, das ist unsere eigene Sache. Ganz ohne schlechtes Gewissen und das Gefühl, ein Versager zu sein. Oder wie seht Ihr das?

Plädoyer für eine undogmatische Erziehung: mehr Bauchgefühl statt erhobenen Zeigefinger in ERziehungsratgebern

Willkommen bei der ganznormalenMama! Wollt Ihr  familienfreundliche Reisetipps? Oder kinderleichte Rezepte? Oder Lustiges, Nachdenkliches aus dem Mamaalltag? Dann stöbert im Archiv und folgt mir per Email,  auf Facebook, bei Instagram oder Pinterest – ich freue mich auf Euch!

Und wusstet Ihr, dass mein neues Buch Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein: Das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter auf dem Markt ist?  Und natürlich immer noch erhältlich ist mein Ratgeber zum Thema zweites Kind: „Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.

5 Kommentare zu “Wieso mich Dogmen in der Erziehung stören

  1. Pingback: Meine Woche 24/18 - Gutscheine – Hexen und Prinzessinnen

  2. Gestern bin ich auf deinen Blog gestoßen und ich mußte herzlich lachen. Irgendwie kam ich mir bei jedem Artikel ertappt vor. Vom alltäglichen Chaos ,zu den Parallelwelten und den Supermamis .
    Zu den Dogmen wollte ich sagen , man sollte sich immer auf sein Gefühl verlassen und nicht auf Ratgeber hören, denn diese wechseln alle paar Jahre ihre Ratschläge und was war, ist oder wird der richtige Ratschlag sein?
    Und schon garnicht sollte man den Supermamis glauben, denn meistens ist viel geschwindelt oder es liegt daheim so einiges im Argen.
    Deswegen an alle Muttis: Nehmt euch nict alles so zu Herzen , ihr macht das schon richtig. ( Pädagogen sind da manchmal auch sehr schlimm, mit den „guten“ Ratschlägen.
    Danke noch einmal für deimen blog
    Liebe Grüße von einer vierfachen Mami

  3. Das spricht mir direkt aus dem Herzen. Vielen Dank dafür! Ich war mal in einer Mutter-Kind-Gruppe, in der es nur um Wettbewerb ging, nach dem zweiten Besuch bin ich nicht mehr hingegangen, es gab wirklich keine anderen Themen, was so traurig ist.
    Dafür habe ich dann eine wunderbare Alternative gefunden, wo so Leiterin dafür sorgte, dass solche Wettbewerbe gar nicht erst aufkamen. Jedes Kind wurde – wenn überhaupt – immer nur mit sich selbst verglichen, dh auf individuelle und aktuelle Themen und Fortschritte geschaut. Da herrschte ein sehr angenehmes Klima.

  4. Das mit den Tüten verstehe ich absolut nicht. Restetüten gerne, damit das eigene Kind am nächsten Tag sich nicht Bauchschmerzen nascht, aber er extra was kaufen?? Der KiBu ist anstrengend genug, da muss ich mich doch nicht Tage vorher hinsetzen und Tütchen basteln.
    Klar verstehe ich den Wettbewerb. Oh, bei Louisa-Margareta gab es für jedes Kind ein Tütchen mit 1kg teuerstem Naschkram, Spielzeug, in einem Beutel, der selbst vom Material her teurer ist als der Inhalt … Und damit die Gäste meines Kindes nicht enttäuscht sind, muss es auch was geben … und wenn man nichts bastelt, läuft man Gefahr, das eigene Kind zum Außenseiter zu machen :/

Beim Kommentieren stimmt Ihr meiner Datenschutzerklärung (siehe Menü) zu.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.