Wieso ich „Oje ich wachse“ nicht mehr lese

Ich kennt ihn doch sicher auch. Es ist einer DER Ratgeber für frischgebackene Eltern. „Oje ich wachse„. Der Erziehungsratgeber mit den Entwicklungsschüben, die Babys in den ersten 20 Monaten durchmachen. Ich habe das Buch beim ersten Kind verschlungen. Ich habe es geliebt, denn es hat mir geholfen, mein Baby besser zu verstehen. Beim zweiten Kind habe ich das Buch auch hervorgenommen, als Erinnerungsstütze, aber längst nicht mehr so intensiv. Nun, beim dritten Kind, hatte ich das Buch auch wieder aus dem Bücherregal genommen. Und, versteht mich nicht falsch, es ist immer noch ein klasse Erziehungsratgeber, ein schön geschriebenes Buch voller nützlicher Informationen für Babyeltern. Aber ich lese es nicht mehr. Nicht, weil ich alles schon weiß. Oh nein, man vergisst so viel, ganz ehrlich. Es hat einen anderen Grund, weshalb ich „Oje ich wachse“ beim dritten Kind schnell wieder ins Regal zurückgeschoben habe.

Babys Entwicklungsschübe: Irgendwas ist immer

Kennt Ihr den Spruch „Ich lese gerade oje ich wachse. Oder auch: Irgendwas ist immer.“ Ich habe den irgendwann mal gelesen. Auf Twitter, auf Facebook, auf einer Postkarte?! Ich erinnere mich nicht mehr und kann den Urheber leider nicht mehr korrekt zitieren, ich hoffe, der Urheber entschuldigt dies, wenn er es liest (gerne melden, dann bau ich noch den Namen ein!). Aber dieser Spruch trifft den Nagel auf den Kopf. „Irgendwas ist immer“. So könnte man das Buch auch zusammenfassen. Ich hatte ganz vergessen, wie viele Entwicklungsschübe so ein Baby hat. Und wie oft mit diesen Entwicklungsschüben unleidliche Phasen einhergehen. Unsere Babymaus hatte in der fünften Woche so eine Phase. Sie ging nur einen Tag, aber es reichte, um mich an das Buch und all die Entwicklungsschübe zu erinnern. Unser vorher so freundliches Baby meckerte, was das Zeug hielt. Sie wollte nur getragen werden, also nicht nur so ein bisschen ab  und zu sondern die ganze Zeit. Ununterbrochen. Alles fand sie doof und schlafen ging schon mal gar nicht. Da kam mir in den Kopf: Fünf Wochen?! Der Fünf-Wochen-Entwicklungsschub!

Ich ging also ab zum Bücherregal. Zog treffsicher „Oje, ich wachse! Von den acht „Sprüngen“ in der mentalen Entwicklung Ihres Kindes während der ersten 14 Monate und wie Sie damit umgehen können“ (Affiliate Link) heraus. Blätterte und fühlt mich – bäng – gleich zurückversetzt in die Zeit, als unser Großer noch so klein war und ich dieses Buch studierte, um herauszufinden, was ihn denn nun schon wieder beschäftigte. Achja. Diese ganzen Entwicklungsschübe in den ersten 20 Monaten. Das Buch hat mir tatsächlich sehr geholfen. Es hat mir geholfen, meinen Sohn zu verstehen. Es hat mir Anregungen gegeben, was ich machen kann, damit es ihm besser geht. Wie ich ihn beschäftigen kann. Und jedes Mal, wenn so ein Schub vorbei war, habe ich gelesen, was mein Sohn schon kann und mich gefreut, dass es tatsächlich so war.

So war es auch diesmal beim dritten Kind. Ich also alles über den Entwicklungsschub in der fünften Woche gelesen. Und mich am nächsten Tag gefreut, als der Schub bei uns vorbei war (es ist nämlich der kürzeste aller Wachstumsschübe) und unser Baby wie im Buch beschrieben mich freundlich anlächelte und in der Tat auf einmal viel reifer wirkte.

Wieso ich oje ich wachse nicht mehr lese - beim dritten Kind verzichte ich auf den Erziehungsratgeber für die Babyzeit. #baby #erziehung

Das Buch bleibt nach dem Foto nun im Regal stehen. Ich will mehr „Juhu ich wachse“ statt „oje ich wachse“.

Und im Hinterkopf immer das Wissen: Die nächste schlechte Phase kommt bestimmt

Aber dann blätterte ich in dem Buch zu der Übersicht, wann welcher Schub einsetzt. Und beschloss in diesem Augenblick, dass „Oje ich wachse“ beim dritten Kind im Regal stehen bleiben wird. Und ich es nicht mehr aufschlage. Egal, dass es wirklich anschaulich und unterhaltsam und undogmatisch geschrieben ist.

Nein, ich werde mich nicht mit den Schüben auseinandersetzen. Ich will das diesmal nicht. Wer diese Grafik aus dem Buch kennt, weiß, was ich meine mit „irgendwas ist immer“. Denn genauso ist es. Es gibt mehr „unruhige, stürmische Phasen“ im Babyjahr als „sonnige Phasen“. Denn jedem Entwicklungsschub geht so eine stürmische Phase voraus, die auch mal zwei Wochen dauern kann. Also eine Phase voller Quengelei, Motzerei und schlechtem Schlaf. Und kaum freut man sich, dass das Baby was Neues kann, kommt auch schon der nächste Schub und die nächste stürmische Phase.

Ich blickte diese Seite an und beschloss:

Nö. Diesmal nicht. Diesmal will ich nicht ständig auf die nächste Phase warten. Und den nächsten Schub. Und mich über die Woche „sonnige Phase“ freuen. Ich will einfach das erste Jahr mit meiner kleinen Maus genießen. Und auch die Meckerphase genießen, ohne gleich zu überlegen, welcher Schub das ist und was ich jetzt mache und wie lange diese Phase denn geht und wann ich wieder Schlaf bekomme und mein Baby einmal einen Moment ablegen kann. Nö. Diese Gedanken will ich mir nicht machen.

Denn dazu führt das Buch „Oje ich wachse“ leider schnell, wenn man nicht aufpasst und sich aus diesem Gedankenkorsett befreit. Dass man dauernd auf die Signale der nächsten Phase lauert – weil man im Hinterkopf hat „der nächste Schub müsste nächste Woche kommen“. Ich weiß nicht, wie es Euch erging, aber ich erinnere mich, dass ich mich nicht ganz freimachen konnte von diesen Gedanken. Beim ersten Kind jedenfalls nicht. Beim zweiten hatte ich nach irgendeinem Schub das Buch einfach zur Seite gepackt. Aus genau diesen Gründen.

Denn auch wenn man sich vornimmt, die sonnigen Phasen zu genießen, irgendwo im Kopf geistert das Wissen herum, dass die Phase ja nur kurz ist und bald wieder der Sturm einsetzt und sich der nächste Entwicklungsschub des Babys ankündigt. Mich hat dieser Hintergedanke beim ersten Kind doch manchmal darin beeinträchtigt, die guten Phasen uneingeschränkt zu genießen. Und wenn man ständig diese Erwartung im Kopf hat „jetzt müsste aber bald der nächste Wachstumsschub einsetzen“, dann wird man besonders empfindlich, was die ersten Anzeichen betrifft. Man interpretiert jedes Quengeln anders und bemerkt Signale, die man sonst vielleicht gar nicht wahrnehmen würde. So ging es mir jedenfalls. Ich merke im Rückblick, dass mir das Wissen geholfen hat – aber auch wie eine selbsterfüllende Prophezeiung das Leben manchmal schwerer gemacht hat.

Weniger Druck in der Babyzeit: Entspannter leben mit Baby indem man sich nicht vergleicht und nicht ständig an Schübe und Entwicklungsmeilensteine denkt. Wieso Oje ich wachsen ein total überschätzter Erziehungsratgeber ist und Eltern nur unnötig unter STress setzt.

Nicht „oje ich wachse“ sondern „juhu ich wachse“

Diesmal möchte ich gelassener an die Entwicklungsschübe meines Babys herangehen. Ich möchte nicht mehr jedes Quengeln oder jede schlechte Nacht hinterfragen. Ich möchte es einfach so nehmen, wie es kommt. Auf mein Bauchgefühl hören. Das sagt mir auch, was mein Baby will und wie ich ihm gerade helfen kann. Und wenn sie den ganzen Tag getragen werden will, dann ist es halt so. Dann mache ich es, so gut ich kann, ohne mich unter Perfektionsdruck zu setzen  die perfekte „ich trage mein Baby 24 Stunden und vernachlässige dabei alle meine Bedürfnisse“-Mama zu sein. Beim dritten Kind fällt es mir auch leichter, die stürmischen Phasen zu überstehen – denn ich weiß, dass es auch wieder gute Phasen gibt. Und ich weiß, dass die Zeit eh schneller vergeht, als man „Digitalwecker mit Schlummerfunktion“ sagen kann.

Ich gebe es zu: Das Wissen hatte ich beim ersten Kind nicht und von daher hat mir „Oje ich wachse“ da gut weitergeholfen. Auch um einzuordnen, was meinem Baby fehlt. Und um zu lesen, dass es bald wieder aufwärts geht. Auf jede anstrengende Phase eine gute Phase folgt.

Aber im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass ich manch stürmische Phase gar nicht als stürmische Phase identifiziert hätte. Dass ich ohne das Buch gedacht hätte „ach, sie hat einen schlechten Tag, aber das wird ja wieder“. Und mit dem Buch aber gleich in ein Interpretieren, ja Überinterpretieren, hineinverfiel und dabei auch mein Bauchgefühl vergaß.

Nun beim dritten Kind lese ich „Oje, ich wachse! Von den acht „Sprüngen“ in der mentalen Entwicklung Ihres Kindes während der ersten 14 Monate und wie Sie damit umgehen können“ also nicht mehr. Und muss so nicht bei jedem sonnigen Tag daran denken, dass nächste Woche ja ein Sturm aufzieht, weil der nächste Entwicklungsschritt ansteht. Ich nehme die Tage und Phasen, wie sie kommen und freue mich über jeden guten Tag – ohne mir die gute Stimmung von dem Wetterbericht heraufziehender Stürme vermiesen zu lassen.

Wie haltet Ihr es, mit „oje ich wachse“ – habt Ihr es gelesen? Hat es Euch geholfen? Lest Ihr es auch beim zweiten Kind? Ich bin gespannt auf Eure Erfahrungen mit „oje ich wachse“ – denn jeder macht da ja andere Erfahrungen und geht anders mit so einem Buch um.

Lieber juhu ich wachse, statt oje ich wachse: Wie ich ich den Erziehungsratgeber nicht mehr lese. Plädoyer für mehr Bauchgefühl in der Erziehung. #baby #familie

 

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24 Kommentare zu “Wieso ich „Oje ich wachse“ nicht mehr lese

  1. Mir leuchtet nach wie vor nicht ein, warum alle Babys diese Entwicklungssprünge zur gleichen Zeit durchmachen sollen. Unsere beiden Kinder sind eher langsam und ich fand es immer total deprimierend in dem Buch zu blättern, weil unsere Kinder im Prinzip NICHTS „pünktlich“ nach einem Sprung konnten – außer das Lächeln nach dem 1. Sprung vielleicht.

  2. Zufällig bin ich auf diese Seite gestoßen und fand den Beitrag interessant. Muss allerdings anmerken, dass das Problem nicht das Buch ist, sondern die Einstellungen, die man sich selbst kreiert.
    Ich habe das Buch beim ersten Kind gelesen und fand es toll zu beobachten was es neues kann. Natürlich waren es nur wenige der aufgelisteten Dinge! Es sind einfach all die Dinge im Buch aufgezählt, die den Eltern aufgefallen waren, die für die Statistik des Buches herangezogen wurden. Kein Kind kann alles auf ein Mal. Ich habe nie daran gedacht, wann wieder intensive Mamazeit ist, sondern wann es wieder irgendwas tolles neues kann! Der Titel „oh je…“ hat mir geholfen mehr Mitleid mit meinem Kind zu haben und es hinzunehmen, wenn plötzlich alles anders war und es wieder wie ein kleines Baby wurde.
    Beim zweiten Kind lese ich auch nicht mehr alles, aber schaue mal nach, zu was es nun vielleicht fähig ist, aus Interesse an meinem Kind und nicht aus Zwang. Die Zeit beim zweiten Baby läuft gefühlt auch einfach viel schneller, da kann ich schon nachvollziehen, wieso es einem so vorkommt, als wäre ständig was beim Blick auf die Entwicklungstabelle. Wenn das stresst, dann sollte man sich selbst aber dringend entspannen! Da kann es auch richtig sein kein solches Buch zu lesen und generell lieber mit dem Baby zu spielen.

    • Genauso sehe ich es auch.
      Mir hat das Buch bei meinem ersten Kind auch sehr geholfen zu verstehen was eigentlich los war und dass ich nichts „falsch“ mache, sondern dass es ganz normal ist. Ich konnte viel besser mit meiner Tochter umgehen als ich „wusste“ was los war und viel geduldiger auf sie eingehen.
      Ich habe das Buch auch eher rückwirkend gelesen. Wenn ich gemerkt habe, „huch irgendwie funktioniert gerade wieder gar nichts“, habe ich nachgeschaut und verstanden was eigentlich gerade in ihr vorgeht.
      Ich denke, dass es eine Einstellungssache ist und es tatsächlich „ungesund“ ist immer auf die schlechten Phasen zu warten. Dann ist es sicherlich sinnvoll das Buch im Regal stehen zu lassen. Das habe ich schon bei meinem ersten Kind in den letzten Monaten gemacht…Ich wollte gar nicht wissen wann es wieder „schlimm“ wird, sondern es ging mir wie gesagt um das Verstehen WARUM.

  3. Ich habe weder beim ersten Kind noch jetzt beim zweiten (das im August kommt) irgendein Buch zum Thema Schwangerschaft und/oder Entwicklung bzw. Erziehung gelesen.
    Zum einen, weil ich von anderen wusste, wie verwirrend es sein kann, in dem einen Buch zu lesen, Säuglinge dürfen unter keinen Umständen auf dem Bauch oder der Seite schlafen und in nem anderen wird empfohlen, das Kind ab Woche x auch auf dem Bauch schlafen zu lassen.
    Und ich muss sagen, dass mir das Nicht-Lesen sehr viel entspannter an Geburt und Erziehung hat gehen lassen.
    OK, es gibt sicher Mütter und/oder Väter, die begierig alles lesen (wollen), was ihnen unter die Finger kommt. Ich habe in meinem Umfeld allerdings die Erfahrung gemacht, dass Mütter, die viel verschiedene „Ratgeber“ gelesen haben, unsicherer waren als Wenigleser.

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