Wie helfe ich meinem schüchternen Kind? Interview und Buchtipp

Schüchterne Menschen gehen oft ein bisschen unter. Besonders schüchterne Kinder, die manchmal nicht ins System zu passen scheinen. Das Kind würde ja nur am Rand sitzen und sich nicht im Spiel beteiligen, hört man da als Elternteil. Oder die mündliche Mitarbeit im Unterricht wird bemängelt, weil quasi kaum vorhanden. Zwei meiner drei Kinder sind auch eher schüchtern und ich erinnere mich noch gut, wie es war als einzige Mutter beim Seepferdchenkurs auf der Bank neben dem Schwimmbecken zu sitzen statt mit den anderen Müttern Kaffee trinken zu gehen. Ich weiß noch gut, wie es ist, wenn man als einzige Mutter bei der Kindergeburtstagsparty da bleibt, weil das Kind nicht alleine bleiben möchte. Was ich aber auch gemerkt habe: Wenn ich meinen Kindern Zeit gebe, ihnen den Rücken stärke, dann kommt irgendwann der Moment, an dem sie auch bereit sind, alleine beim Schwimmkurs oder der Geburtstagsparty zu bleiben. Druck und Zwang wirken eher kontraproduktiv. Geduld und immer wieder bestärken hingegen haben gut funktioniert. Meine Autorenkollegin Inke Hummel, die ich sehr schätze und für ihre undogmatische Art mag, hat nach ihrem Pubertätsratgeber, den ich hier vorgestellt habe, nun das absolut lesenswerte Buch „Mein wunderbares schüchternes Kind. Mut machen, Selbstvertrauen bestärken, liebevoll begleiten“ geschrieben. Ein liebevoll geschriebener, auf die Bedürfnisse der Kinder eingehender Ratgeber für Eltern schüchterner Kinder, der sehr praxisnahe und pragmatische Tipps enthält und wirklich umsetzbare Strategien für typische Alltagssituationen zeigt. Im Interview verrät Inke mir, wie wir Eltern unsere schüchternen Kinder unterstützen können:

Was ist Schüchternheit und wo ist die Abgrenzung zu Introvertiertheit?

Inke: Schüchternheit ist eine Art behutsamere Risikobewertung vorm Handeln. Ein von Geburt an schüchterner Mensch geht zögerlicher in herausfordernde und neue Situationen und ist rascher gestresst von vielen ungewohnten Reizen. Wichtig ist mir: Das ist ein ganz neutrales Merkmal und nicht einfach positiv oder negativ zu bewerten. Introvertiertheit wird oft damit gleichgesetzt, dabei gibt es auch schüchtern-extrovertierte und selbstsicher-introvertierte Menschen. Denn Introvertiertheit bedeutet nur, dass jemand Ruhe und Reizarmut braucht, um zu regenerieren, während einer extrovertierte Person andere Menschen und Input guttut. In Bezug auf das eigene Kind oder auch auf sich selbst würde ich immer versuchen, nicht zu sehr auf Stempel oder Schubladen zu beharren, sondern darauf zu schauen, was genau bei diesem Menschen eine herausfordernde Problematik ist.

Wie kann ich meinem schüchternen Kleinkind helfen, Kontakte zu anderen Kindern zu knüpfen?

Inke: Erstmal sollte ich auch hier aufs Kind gucken: Will mein Kind die Kontakte? Oder habe ich den Eindruck, es müsste doch jetzt endlich mal viele Freunde um mich scharren? Wenn es wirklich der Wunsch des Kindes ist und es allein nicht weiterkommt, kannst Du mit einem kleinen Kind in Rollenspielen üben, wie man Kontakte knüpft. Mit einem größeren Kind kannst Du durchsprechen, wie ein guter Gesprächsstart oder sinnvolle Situationen aussehen könnten. In jedem Alter kannst Du dafür sorgen, dass es Gelegenheiten für Freundschaftsbände gibt. Hier ist es hilfreich, wenn der Fokus auf einem schönen Ort und einem gemeinsamen Tun liegt und nicht so sehr darauf, dass zwei Kinder unbedingt miteinander spielen sollen. Das ergibt sich möglichst von allein. Und man kann noch viel mehr gemeinsam tun. Darauf gehe ich in meinem Buch intensiv ein. Wichtig sind besonders: kleine Schritte und kleine Sicherheiten sowie dass die Eltern nicht zu viel übernehmen.

Man muss schüchternen Kindern nicht alles abnehmen

Gibt es etwas, das man als Elternteil unterlassen sollte, etwas, das dem Kind sogar schaden könnte?

Inke: Ja, das sind wir gleich an dem Punkt: Ein schüchternes Kind zu stärken bedeutet nicht, ihm alles abzunehmen. Stattdessen braucht es Chancen, Ermutigungen, Ideen und Zeit. Wenn wir Eltern zu sehr das Ruder übernehmen, hemmen und schwächen wir unser schüchternes Kind. Da muss man eine gute Balance finden. Zugewandtes Zumuten würde ich es nennen!

Wann muss ich mir Sorgen machen: Wann wird Schüchternheit zu einem Problem?

Inke: Dafür gibt es im Buch umfangreiche Checklisten. Denn es gibt einige Bereiche wie zum Beispiel ständiges Bevormundenlassen, körperlich sichtbare Nervosität, starker Rückzug, offenes Äußern von Traurigkeit, die mich ermuntern sollten, meinem Kind noch stärker unter die Arme zu greifen. Und es gibt des Weiteren Aspekte wie Ess- oder Verhaltensstörungen, Vermeidung, starke Ängste, die es sinnvoll erscheinen lassen, dass wir externe Hilfe mit ins Boot holen. Die grundlegende Frage ist: Leidet das Kind? Und noch: Leidet die Familie? Braucht das Kind Hilfe und / oder brauchen wir Eltern jemanden, der mal mit uns hinschaut? Was andere für Probleme mit deinem Kind haben, sollte nicht dein Gradmesser für deine Sorgen sein.

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Schüchterne Schulkinder unterstützen

In der Schule werden schüchterne Kinder oft benachteiligt, sie finden nicht so schnell Anschluss, sind manchmal außen vor und bekommen dann noch schlechte mündliche Noten… wie kann man sein Kind in der Schule unterstützen?

Inke: Da finde ich es wichtig, erstmal den Blick wegzuwenden von diesen Situationen, und auf zwei andere Bereiche zu schauen: Zum einen: Wo kann ich meinem Kind positive Erlebnisse ermöglichen? Wo kann ich es stark machen? Was sind seine Leidenschaften? Wo darf es erfahren, dass kleinschrittiger Mut zu seinem Ziel führt? Denn das kann ein Kind stärkend mitnehmen in die schwierigeren Situationen. Und zum anderen in Bezug auf den Unterricht: Wie kann ich Beziehung herstellen, um das Fundament zu stärken? Ich empfehle immer, den gespürten Druck nicht allein mit dem Kind auszuhandeln, sondern mindestens den oder die Klassenlehrer*in mit ins Boot zu holen. Weiß die Person wirklich, wer mein Kind ist und warum es sich verhält, wie es sich verhält? Kann ich ihr Wissen mitgeben, dass beiden eine Lernbeziehung leichter macht? Können wir in guten Kontakt kommen und konstruktiv Ideen entwickeln ein wenig ab vom Standardweg? Für das Buch habe ich mit einigen Lehrkräften gesprochen, um genau diese Bereiche für Eltern zu vereinfachen.

Wie sollte man mit den Lehrern über sein Kind sprechen?

Inke: Die Grundlage für jede gute Beziehung ist Kommunikation. Es ist wichtig, offen und zugewandt auf eine Lehrkraft zuzugehen, nicht ängstlich oder vorwurfsvoll. Mit Optimismus und Empathie. „ Wir schaffen das! Aber wir schauen uns auch alle Seiten an. “ Denn auch Lehrkräfte haben ja viele Hemmnisse im Alltag, die es ihnen möglichweise erschweren, so zu handeln, wie sie gerne möchten. Wünschenswert wären dann Mut und Kreativität: Was ist das Unterrichtsziel? Eine Buchvorstellung? Eine berühmte Persönlichkeit kennenlernen? Muss das als Vortrag geschehen, nur weil „es immer so ist“? Kann das Ziel nicht auch über ein Plakat, einen Aufsatz, ein Vorlesen statt frei Reden erreicht werden? Oder kann der Vortrag zu Hause als Video gefilmt werden? Ist es möglich, ihn am Telefon zu halten? Hier zu sind noch zwei Gedanken wichtig: Die „Extrawurst“ wird hier oft beklagt. Da finde ich es wichtig, auf Inklusion zu pochen. Wer einen verletzten Fuß hat, darf Krücken benutzen, wer eine Lese-Rechtschreib-Schwäche hat, darf etwas mehr Zeit an einer Klassenarbeit sitzen und wer schüchtern ist, sollte auch Entgegenkommen erwarten dürfen. Warum nicht? Wir brauchen keine Gleichmacherei. Wir brauchen Raum für die bunte, breite Normalität. Und der Zeitfaktor: Wenn ein Kind in Klasse 3 oder auch in Klasse 10 noch keinen souveränen Vortrag vor einer Gruppe halten kann, heißt das nicht, dass ihm das auch mit 22 nicht gelingen wird. Ich spreche aus Erfahrung!

Lieben Dank für das Interview, Inke! Im Buch „Mein wunderbares schüchternes Kind“ lest ihr noch viel mehr Tipps – zum Beispiel zu Themen wie Spielgruppen, Spielplatzbesuche, Reisen, Außer-Haus-Betreuung, Angst vor Monstern, Einschulung, Freundschaften knüpfen, das Kind in seiner Persönlichkeit annehmen, schüchterne Jugendliche und die Kommunikation mit dem eigenen Kind. Inke schreibt sehr praxisnah und fundiert recherchiert, ihre Tipps lassen sich auch umsetzen und viele Zitate von Eltern und Praxisbeispiele runden das Buch ab. Eine absolute Leseempfehlung!

Inke Hummel: „Mein wunderbares schüchternes Kind„, Humboldt Verlag, 211 Seiten, 19,99 Euro.

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Kennt Ihr auch  meine anderen Bücher?

 „Afterwork Familie: Wie du mit wenig Zeit dich und deine Familie glücklich machst.“
  Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein: Das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter 

Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.“

Und mein Kinderbuch: Der Blaubeerwichtel

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