Wenn man frischgebackene Eltern fragt, was sie in der ersten Zeit mit Baby am meisten stresst, bekommt man oft die Antwort: „der Schlafmangel.“ Es ist eines der Dinge, auf die man einfach nicht vorbereitet ist, egal, wie oft man es hört und in der Theorie weiß. Aber wie sehr Schlafmangel zermürbt und belasten kann, erfährt man erst, wenn man wirklich alle zwei Stunden geweckt, die Nächte stillend oder das schreiende Baby durch die Wohnung tragend verbringt – und dann auch am folgenden Tag nicht zum Ausruhen kommt. Aber wieso schläft das Baby eigentlich nicht durch? Und gibt es Tricks, die wirklich helfen, damit man etwas mehr Schlaf bekommt? Wann wird es besser? Und wann sollte man mit dem Einschlafritual anfangen? Diese und andere Fragen beantwortet die Autorin Silke Plagge in ihrem Buch „Schlaf, mein Baby, schlaf. Entspannte Wege zu ruhigen Nächten„, das in der Reihe „Eltern Ratgeber“ der Zeitschrift Eltern im DK-Verlag erschienen ist (und in dem es auch einen Gastbeitrag von mir gibt!). Ein paar Tipps und Fakten rund ums Thema Babyschlaf verrät sie mir hier im Interview:
Schlaf ist ja ein Thema, das Eltern lange begleitet. Es fängt ja schon in de Schwangerschaft an…
Silke Plagge: Die gut gemeinten Tipps und die vielen Hinweise an werdende Eltern nun doch bloß „ordentlich vorzuschlafen“. Sehr witzig. Gerade in der Schwangerschaft haben viele Frauen ein sehr großes Schlafbedürfnis – das nützt nur wenig, wenn gleichzeitig kurz vor der Geburt der Mini schon sehr auf die Blase drückt, der Rücken schmerzt oder das Gedankenkarussell sich nicht anhalten lässt. Stress zu reduzieren, und gute Kissen erleichtert einiges. Für sich selbst sorgen, Musik hören, gemeinsam mit dem Liebsten Zeit für Zärtlichkeit einplanen, dass hilft dabei, zur Ruhe zu finden. Hier muss eigentlich jede Frau ihren Weg finden – einen, der es ihr ermöglicht, die Ohren ein wenig auf Durchzug zu stellen, wenn der gleiche Tipp zum hundertsten Mal kommt und einen, der zu ihr passt. Eines nämlich ist für Eltern enorm wichtig: es gibt nie nur den einen richtigen Weg und mit einem Baby ist nichts so wirklich planbar. Vielleicht hat die Natur das mit dem eher schlechten Schlaf im letzten Schwangerschaftsdrittel auch ganz raffiniert eingerichtet, damit die Eltern für die ersten Babymonate üben. Denn es stimmt schon, die Kleinen wachen oft auf. Sie schlafen aber andererseits auch viel.

Aber wieso wachen Babys so oft auf?
Silke: Es unfassbar, was winzige Menschen gleich nach der Geburt eigenständig leistet: atmen, Nahrung zu sich nehmen und verdauen, Schwerkraft ausbalancieren und unendlich viele Erfahrungen und Sinneseindrücke verarbeiten. Das kostet Energie. Und die müssen Babys tanken, in dem sie viel schlafen. In den ersten drei Monaten schläft ein Säugling im Schnitt 14 bis 18 Stunden. Man könnte also auch sagen, Babys wachen nicht oft auf – sie schlafen oft ein. Und das verteilt in kleine Häppchen. Schlafen kann jedes Kind von Geburt an – aber es kann den Prozess dahin nicht lenken. Schlaf besteht ja aus verschiedenen Phasen, wir Erwachsenen merken den Wechsel gar nicht, drehen uns um und können von selbst wieder weiterschlafen. Babys können das noch nicht. Je jünger ein Kind ist, desto kürzer sind seine Schlafzyklen.
Was hilft wirklich beim Durchschlafen?
Man liest überall etwas anderes zum Thema Durchschlafen und manche Tipps zum Schlafen widersprechen sich auch. Gibt es denn etwas, was wirklich beim Durchschlafen hilft?
Silke: Eigentlich geht es gar nicht um das Durchschlafen: das Problem ist, dass Babys lernen müssen selbst wieder einzuschlafen. Wir Menschen wachen nachts auf – auch wir Großen – und meist merken wir das gar nicht. Genau wie wir lernen, den Kopf hoch zu halten, gezielt zu greifen und aus Lauten Worte formen, so müssen wir auch das Einschlafen lernen. Wenn ein Kind in der Nacht oft wach wird und selbst wieder in den Schlaf findet, ist das für die Eltern ja kein Problem. Ein Problem wird das Schlafen, wenn das Kind am Abend nicht zur Ruhe kommt, in der Nacht dann immer wieder wach wird und für das Einschlafen immer elterlicher Beistand benötigt wird. Eltern müssen sich also überleben, warum ihr Kind auf wacht und wie sie es dabei unterstützen können, selbst wieder in den Schlaf zu finden.
Gibt es Durchschlaftipps, die echt für die Tonne sind und gar nichts bringen?
Silke: Schlafmangel ist eine Foltermethode und belastet enorm. Natürlich sind unendlich müde Erwachsen irgendwann verzweifelt. Manchmal so sehr, dass auch zu allen möglichen Maßnahmen gegriffen wird. Eltern von Babys, die gefühlt so gut wie gar nicht schlafen sehnen sich nach einem „Ausknopf“ oder einer ganz einfachen Gebrauchsanleitung und so stoßen sie auf Methoden, die versprechen, dass wirklich jedes Baby schlafen lerne. Solche standardisierte Trainingsprogramme versprechen: Wir lösen euer Problem. Ihr müsst euch nur ganz genau nach unserem starren Schema richten und in wenigen Nächten wird alles super perfekt sein. Doch Patentrezepte gibt es eben nicht und strikte Methoden können Kinder sehr negativ prägen, denn Babys lernen, dass sie nicht gehört werden, dass sie nichts bewirken können und ihre Eltern eben nicht verlässliche Sicherheit geben.
Verzweiflung lässt viele Eltern auch zu vielen verschiedenen Maßnahmen greifen – sie zünden am Abend ein richtiges Ideenfeuerwerk um den Mini zur Ruhe kommen zu lassen – und bewirken damit das Gegenteil. Das übermüdete Baby spürt die elterliche Überforderung und die vielen neuen Reize: noch ein Lied, hüpfen auf dem Gymnastikball, all das sind Impulse von außen. Das Kind erkennt: wenn ich müde bin, dann müssen meine Eltern kommen, es passiert ganz viel und alle sind sehr gestresst. Hier finden einige Familien in einen Kreislauf, denn sie erst einmal erkennen und dann durchbrechen müssen. Die eigene Rolle reduzieren, dem Kind helfen, dass es selbst lernt sich zu beruhigen und gleichzeitig die Nähe der Eltern spürt.
Ab wann kann man ein Einschlafritual fürs Baby einführen?
Silke: Kinder lieben Rituale. Feste Muster und Abläufe geben Halt und Struktur und sie signalisieren – nun ist der Tag zu Ende und die Ruhezeit fängt an. Ein abendliches Bad, einkuscheln in ein molliges Handtuch, das Anziehen eines Nachtbodys und eines Schlafsackes, dann gemeinsames Kuscheln und das Singen eines Nachtliedes – das sind Abendrituale, die von Anfang an eingeführt werden können. Die wichtigste Zubettgeh-Routine für Neugeborene ist vor allem Ruhe und wenig Licht. Der Tag ist da für Aktivitäten und die Nacht für Ruhe.
Wie sollte die perfekte Schlafumgebung fürs Baby aussehen?
Silke: Die gibt es nicht. Weil das, was für Familie A und ihr Baby wunderbar ist, nicht unbedingt auch für Familie B passt. Aber natürlich gibt es ein paar Dinge, auf die alle Eltern achten sollten. Neugeborene fühlen sich sicher und geborgen, wenn sie die Geräusche von Mama und Papa hören. Sie schlafen sicherer, wenn sie im gleichen Raum wie die Eltern schlafen. Der Raum sollte nicht zu warm und nicht zu kalt sein, idealerweise 16 bis 20 Grad. Egal ob das Kleine im Stubenwagen, einem Beistellbett oder im elterlichen Bett schläft: Kissen, Decken und Deko gehören nicht in Babys Schlafstätte. Am sichersten schläft es in einem Body gekleidet in einem Schlafsack.
Schlafmangel besser aushalten – aber wie?
Hand aufs Herz: Wie kommt man als Elternteil besser mit Schlafmangel klar? Oder müssen Eltern den Schlafmangel einfach aushalten?
Silke: Einfach nur hinlegen und weinen – das Baby macht das und als Elternteil möchte man das an einigen Tagen eigentlich auch tun. Und vielleicht ist das auch eine richtig gute Idee: ein kurzer, erholsamer Schlaf, eine Mini-Pause und vorher auch Tränen laufen lassen. Es ist wichtig für Mütter und Väter auch für sich selbst gut zu sorgen. Kleine Nickerchen am Tag helfen sehr. Auch ein kurzer Spaziergang an der frischen Luft, ein fester Tages-Rhythmus, regelmäßiges Essen und Trinken oder ein inniger Kuss des oder der Liebsten füllen den Kräfteakku wieder auf. Häufig erwarten Mütter und Väter auch zu viel von sich und ihrem Kind – sie haben das Gefühl, zu versagen, weil ihr Kind doch schlafen müsse und achten zu wenig auf sich. Aber es ist auch enorm wichtig, für sich selbst zu sorgen und auf eigene Bedürfnisse zu achten.
(Tipps, wie man mit Schlafmangel besser durch den Tag kommt, habe ich übrigens hier auf dem Blog).
Gibt es Hoffnung für Babyeltern? Ab wann wird es besser mit dem Durchschlafen?
Silke: Tja, das kommt darauf an, was mit besser gemeint ist. Nicht jedes Kind raubt den Eltern ständig Schlaf. Es gibt Kinder, die relativ schnell lernen selbst wieder in den Schlaf zu finden, andere brauchen dafür Jahre. Das klingt jetzt gruselig – ist es aber nicht. Die Frage ist ja eher – wie sehr stresst das nächtliche Aufwachen die ganze Familie? Wie finden sich Wege für ruhige Nächte für alle? Je älter die Kinder werden, desto mehr ändert sich auch ihr Schlafverhalten. Meist werden dann auch die Nächte besser. Wichtig ist, das Eltern da auch die eigene Erwartung hinterfragen. Was erwarte ich von mir? Was von meinem Kind? Absolute Harmonie wird es kaum geben. Ein Leben mit Kindern wird nicht perfekt. Aber immer wieder anders und auch anders besser.

Fundierter Ratgeber zum Thema Babys und Schlafen
Danke für das spannende Interview, liebe Silke! Und vielen Dank für das tolle Buch rund ums Thema Babyschlaf! Auf 152 Seiten findet ihr unglaublich viele, super recherchierte Informationen ums Schlafen, vom Schlafen in der Schwangerschaft bis hin zu dem Appell, die eigenen Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen. Ihr lernt beim Lesen nicht nur viele Fakten über das Schlafverhalten von Babys und Kleinkindern, sondern bekommt auch viele nützliche Tipps zu Einschlafritualen, Einschlafbegleitung, den Umgang mit Schreibabys, dem Nachtschreck und und und. Das Ganze kurzweilig, undogmatisch unterhaltsam geschrieben, angenehm zu lesen! Und man kann es durch die Aufteilung in Kapitel immer wieder hervor nehmen und nachschlagen, wenn einen der Schuh drückt. Von mir findet ihr in dem Buch übrigens auch einen kleinen Gastbeitrag zum Thema Geschwister und Einschlafrituale und Familienbett.
Ein praktischer und fundiert recherchierter Ratgeber, der Eltern nicht nur die erste Zeit mit Baby sondern in den ganzen ersten Jahren mit Kind begleitet. Absolut lesenswert!
„Schlaf, mein Baby, schlaf“ von Silke Plagge ist im DK-Verlag erschienen und kostet 16,95 Euro.
Kennt Ihr eigentlich schon mein Kinderbuch: Der Blaubeerwichtel – eine weihnachtliche Wichtelgeschichte für Kinder ab drei Jahren.
Kennt Ihr auch meine anderen Bücher?
„Afterwork Familie: Wie du mit wenig Zeit dich und deine Familie glücklich machst.“
Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein: Das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter
„Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.“
Das Familienkochbuch für nicht perfekte Mütter“ – dort findet Ihr mehr als 80 Rezepte – unkompliziert nachzukochen und zu backen!
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