Dieses Jahr ist alles andere als normal. Unser Alltag ist auf den Kopf gestellt. Und niemand weiß, wann es wieder so sein wird, wie es einmal war. Wenn ich heute in Filmen sehe, wie Menschen in einer überfüllten Bar feiern, sich Dinge ins Ohr brüllen und zur Begrüßung umarmen, dann zucke ich zusammen und in mir ruft es „Abstand!“ Es kommt mir vor wie ein anderes Leben, das irgendwie Lichtjahre zurückliegt. Viele reden davon, dass sie sich die alte Normalität wieder zurückwünschen. Aber wünschen wir uns wirklich alles wieder so zurück, wie es einmal war? Kann man nicht vielleicht diese Zeit für eine Art Reset nutzen? Um eine neue Art von Normalität zu schaffen? Die Kinderbuchautorin Nina Hundertschnee (sie hat ua die fantastische Kinderbuchreihe „Professor Plumbums Bleistift“ geschrieben) hat mir einen Gastbeitrag geschrieben, in dem sie von ihrer Hoffnung schreibt – ihre Hoffnung, wie die Welt „nach Corona“ aussehen könnte (wie wir ja wissen, wird es eher eine Welt „mit Corona“ sein). Ein nachdenklicher Text, ein wunderschöner Text, der Hoffnung macht und zeigt, was wirklich zählt im Leben. Lest selbst, es lohnt sich!
„Vor Kurzem habe ich eine Dokumentation über eine Familie gesehen, die durch die Wüsten dieser Welt reist. Mit 4000 Liter Wasser und zwei kleinen Kindern im Gepäck. Den Eltern ist es ein Bedürfnis ihren Kindern zu zeigen, wie unterschiedlich wir Menschen doch leben und sie lieben die Freiheit dorthin zu ziehen, wo es ihnen gefällt und von der Natur und den Menschen zu lernen. Diese Freiheit wurde ihnen durch die Pandemie genommen. Wie die meisten Menschen weltweit können auch sie nicht mehr ihr gewohntes Leben führen. Wir Menschen sind so unterschiedlich und doch eint uns gerade dieser eine, gravierende Umstand.
Auch meine Familie und mich treffen die Einschränkungen hart. Wir haben zwei Kinder und unsere Tochter zählt aufgrund ihrer Behinderung zur Risikogruppe. Vor zwei Jahren hatte sie eine schwere Lungenentzündung, durch ein Virus, das bei den meisten nur einen Schnupfen verursacht. Man kann sich vorstellen, warum wir besonders achtsam sind und Kontakte meiden. Jeder von uns ist in seinen Freiheiten eingeschränkt. Und trotzdem sagte ich nach der Sendung zu meinem Mann: Lass uns reisen, gerade jetzt, und zwar zu uns selbst. Denn ich glaube daran, dass in allem vermeintlich Schlechten etwas Gutes liegt. Ich habe Hoffnung, dass sich diese Welt zum Guten ändern wird. Nicht im Großen, Ganzen, sondern im Kleinen, Zerbrochenen. Dass sich etwas ändert in
uns drin. Auch wenn uns das enorm viel abverlangt, doch vielleicht führt es uns zur Erkenntnis, dass wir nicht weiter leben können wie bisher.
Viele Menschen wünschen sich die Normalität von gestern. Ich wünsche mir ein neues Morgen.
Denn ist es etwa normal, dass wir unsere Welt ausbeuten? Ist es normal, dass wir alte und schwache Menschen in Heimen unterbringen? Ist es normal, dass Menschen anderer Herkunft oder Hautfarbe diskriminiert werden? Ist es normal, dass das Leben von Menschen mit Behinderung von Anfang als nicht lebenswert dargestellt wird? Ist es normal, dass wir unsere Kinder einen großen Teil des Tages in Fremdbetreuung geben? Ist es normal, dass die meisten acht Stunden am Tag arbeiten müssen? Ist es normal, dass wir bis zur Erschöpfung arbeiten und doch nie aus dem Vollen schöpfen können? Ist es normal, dass es in den Sternen steht, wann die astronomisch hohen Mieten sinken? Ist es normal, dass fürs Wohnen der größte Teil unseres Einkommens drauf geht?
Ist es normal, dass ein Fußball-Profi Millionen verdient und eine Ärztin Millionen Überstunden macht? Ist es normal, dass diese Ärztin weniger verdient als ein Arzt?
Ist es normal, dass mehr in die Waffenindustrie als in unser Bildungssystem investiert wird? Ist es normal, dass wir mit Waffenlieferungen Kriege unterstützen und die flüchtenden Menschen auf Booten verhungern lassen? Ist es normal, dass wir auf Künstliche Intelligenz setzen und unsere eigene verkümmert? Ist es normal, dass die meisten Menschen der westlichen Welt Diäten machen müssten, während in den armen Ländern Menschen verhungern? Ist es normal, dass Politiker Diäten bekommen, für die der durchschnittliche Arbeitnehmer ein ganzes Jahr arbeiten muss?
Ist es normal, dass wir die Natur nur noch aus den Büchern kennen, falls wir noch welche lesen? Ist es normal, dass viele Menschen überhaupt nicht lesen können? Ist es normal, dass wir Tiere achtlos und respektlos behandeln? Ist es normal, dass wir unsere Welt mit Plastik überschwemmen? Ist es normal, dass wir mehr Amazon-Lagerhallen als Wälder haben?
Ist es normal, dass uns das alles nichts angeht, bevor es uns betrifft? Ist es normal, die Augen vor all dem zu verschließen und uns die Welt am Ballermann schön zu saufen? Ist es normal, dass wir Terror und Katastrophen verbreiten, es das Gute dieser Welt aber selten bis 20 Uhr 15 oder auf die Titelseiten schafft?
In was für eine Normalität wünschen wir uns zurück?
Lasst uns nach vorne wünschen, in eine Welt des Friedens und Miteinanders.
Eine Welt der Solidarität, der Achtung vor Natur und Tier, der Verständigung und des Verständnisses. Eine Welt, die so utopisch erscheint, so unwirklich wie das, was wir gerade erleben. Vielleicht ist dies die Chance aufzuwachen und neu zu beginnen. Wenn wir durch die Wüsten dieser Welt reisen und das Fruchtbare in ihnen sehen.“
Lieben Dank für Deine tollen Worte, Nina! Ich hoffe auch, dass wir Menschen diese Zwangspause nutzen, um einen neuen Weg einzuschlagen und über die alten Verhaltensmuster nachzudenken. Aber die Art und Weise, wie viele (nicht alle, bei weitem nicht alle!) gleich nach den ersten Lockerungen der Maßnahmen wieder loslegten und eben in diesen alten Trott verfielen, die hat mir Angst gemacht. Angst, dass wir es doch nicht schaffen, diese Chance zu ergreifen, von der Du schreibst. Was mir Hoffnung macht: Die, die über die Stränge schlagen, sind die Minderheit, und noch ist sie da, die Chance auf ein Reset!
Falls Ihr mehr von Nina Hundertschnee lesen wollt, dann schaut mal hier zu meiner Rezension ihrer Kinderbuchreihe „Professor Plumbums Bleistift“ oder hier zu ihrem wunderschönen Bilderbuch „Leopeule„.
Nina habe ich übrigens auch schon persönlich getroffen :-)
Kennt Ihr eigentlich schon mein Kochbuch? „Das Familienkochbuch für nicht perfekte Mütter“ – dort findet Ihr mehr als 80 Rezepte – unkompliziert nachzukochen und zu backen!
Kennt Ihr auch meine anderen Bücher?
„Afterwork Familie: Wie du mit wenig Zeit dich und deine Familie glücklich machst.“
„Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.“
Und mein Kinderbuch: Der Blaubeerwichtel
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