(Auszug aus meinem Buch „Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein„)
Obwohl heute mehr Mütter berufstätig sind und Kinder früher in den Kindergarten oder die Krippe kommen, verbringen die heutigen Eltern mehr Zeit mit ihren Kindern als noch vor 50 Jahren. Eine Studie von Forschern aus Kalifornien hat dafür Eltern in elf westlichen Ländern wie Kanada, Dänemark, Frankreich und Deutschland unter die Lupe genommen und die Daten von 1965 bis 2012 ausgewertet. Dabei haben die Eltern ihre täglichen Tätigkeiten genau dokumentiert. Unter Kinderbetreuung wurden sämtliche Tätigkeiten erfasst, die sich um die Kinder drehen wie Essen vorbereiten, Kinder baden, wickeln, ins Bett bringen, Spielen, Vorlesen oder auch bei den Hausaufgaben helfen. 1965 verbrachten Mütter demnach 54 Minuten Kinderzeit am Tag, 2012 waren es 104 Minuten am Tag. Bei Vätern waren es 1965 16 (!) Minuten und 2012 59 Minuten. Was machten denn die Frauen 1965 anders als die Mütter heute?
Das Haus sah sicher vielerorts blitzblanker aus als heutzutage. Weniger Mütter waren berufstätig als heutzutage und Kindergärten schlossen meist zur Mittagszeit. Ganztagsschulen gab es so gut wie gar nicht und Krippen ebenfalls nicht (zumindest im Westteil Deutschlands). Der Umgang mit den Kindern hat sich geändert, ist intensiver geworden. Was gut für die Bindung zwischen Eltern und Kind ist und die Beziehung stärkt. Aber wann ist es zuviel des Kümmerns? (…)
Hat sich die Fürsorglichkeit der Eltern vielleicht zu einer Überfürsorglichkeit entwickelt, die den Kindern die Selbständigkeit nimmt und uns Eltern die Zeit für uns selbst?
(…) Dass sich Mütter so intensiv um ihren Nachwuchs kümmern wie heutzutage, war nicht immer so. Die Menschen hatten früher schlicht keine Zeit dazu, ausgiebig mit den Kindern zu spielen und sie zu fördern. Babys waren im Alltag einfach dabei, entweder auf dem Rücken der Mütter, wie es heute noch in vielen Ländern üblich ist, oder die Wiege wurde einfach neben das Feld gestellt, das die Mutter gerade beackern musste. Mussten die Mütter nicht arbeiten, weil sie zu einer höheren Schicht gehörten, kümmerte sich in der Regel eine Amme oder ein Kindermädchen um die Kinder. In den bäuerlichen Schichten gab es gar keine Trennung zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit, die Frauen mussten auf dem Feld genauso ran wie die Männer, jede Hand wurde benötigt. Die Kinder waren von frühauf dabei oder blieben bei den Großeltern. Kamen die Eltern vom Feld zurück war auch nichts mit Quality Time, denn dann war die Hausarbeit fällig.
Was natürlich nicht heißen soll, dass früher alles besser war! Niemand will ernsthaft zurück in diese Zeit!
Aber der Blick zurück zeigt: So viel Zeit wie heute haben Mütter in der Menschheitsgeschichte nicht mit ihren Kindern verbracht. In vielen Ländern ist es auch heute noch so, dass sich viele verschiedene Bezugspersonen um die Kinder kümmern und nicht nur die Mutter. Das Sprichwort vom Dorf, das es braucht, um ein Kind großzuziehen, wird immer noch gerne heruntergebetet – aber in der Realität bleibt das Großziehen heutzutage den Eltern überlassen (jedenfalls in der Zeit außerhalb des Kindergartens). Was im Klartext heißt: In den allermeisten Fällen zum größten Teil der Mutter überlassen.
Früher war mehr Dorf als heute.
Das Konzept, dass Frauen ausschließlich für Haushalt und Kinder da sind, ist also gar nicht so alt und traditionell verankert, wie wir glauben. Auch wenn dieser Mythos immer wieder gerne bemüht wird, wenn über berufstätige Frauen gewettert wird und die „gute alte Zeit“ heraufbeschworen wird. Es war der Nationalsozialismus, der in den 30er Jahren Frauen auf die Rolle der Hausfrau reduziert hat. Die Erziehung der Kinder hatte jedoch damals nichts gemeinsam mit dem, was man heute unter eine fürsorgenden Mutterschaft versteht. Im Sinne der Nazi-Ideologie wurden Mütter damals unter anderem angehalten, Zärtlichkeiten zu unterlassen und Kinder schreien zu lassen, um sie ja nicht zu verwöhnen. (…)
Auch nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Frauen auf Hausarbeit und Kinder reduziert, diese Vorstellung wurde erst in den 1970er Jahren korrigiert. Von 1958 bis 1977 galt per Gesetz: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Was bedeutete: Es hing von der Zustimmung des Mannes ab, ob die Frau arbeiten gehen durfte. Erst 1977 wurde die „Eherechtreform“ eingeführt. Ab sofort galt: „Die Ehegatten regeln die Haushaltsführung im gegenseitigen Einvernehmen. (…) Beide Ehegattten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein.“ Die Politik hat jedoch jahrelang die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter unterstützt und es tut es auch heute noch mit dem Ehegattensplitting.
(…) Aus der kurzen Zeit zwischen den 1930er und 1970er Jahren stammt also das bis heute geltende Bild der „sich aufopfernden Mutter“, das Frauen noch heute unter Druck setzt, so viel Zeit wie möglich mit ihren Kindern zu verbringen. In anderen Ländern wie Frankreich oder auch den skandinavischen Ländern ist man sich hingegen weitestgehend einig, dass eine frühe Sozialisation unter Gleichaltrigen gut für die kindliche Entwicklung ist. (…) In Deutschland, Österreich und der Schweiz wird hingegen immer noch gegen diese Gedanken angekämpft. Sprüche wie „in den Kindergarten abschieben“ machen das Dilemma der heutigen Mütter deutlich.
Dadurch entsteht bei vielen jungen Frauen ein schlechtes Gewissen, das zum permanenten Begleiter in der Mutterschaft wird.
Man zerreißt sich, um möglichst viel Zeit mit den Kindern zu verbringen – schließlich wird das so erwartet – und vergisst dabei, wie wichtig es ist, auch einmal Zeit für sich und seine Bedürfnisse zu haben.
(…) Die heutigen Wahlmöglichkeiten machen das Leben nicht unbedingt leichter. Natürlich ist es ein großer Schritt nach vorne, dass wir heute die Wahl haben zwischen Ganztags- und Halbtagsplätzen. Natürlich ist es eine Erleichterung, dass wir uns zwischen verschiedenen Erziehungsstilen entscheiden können. (…) Aber viele Wahlmöglichkeiten machen das Leben eben auch kompliziert. Ständig müssen wir Vor- und Nachteile abwägen, mit der Konsequenz, dass wir viel zu viel Zeit mit dem Lesen von Artikeln und Erfahrungsberichten verbringen und versuchen zu ergründen, was für uns denn nun das Beste ist. Denn mit den Wahlmöglichkeiten hat auch die Angst Einzug gehalten, sich falsch zu entscheiden – eine zusätzliche Belastung im heutigen Elternalltag.
Was Mütter unter Druck setzt
… Mehr über das, was den Alltag der heutigen Mütter so schwer macht und woher eigentlich der Druck auf uns Mütter kommt, lest Ihr in meinem Buch „Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein – das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter“ – dort gebe ich auch Tipps, wie man aus dieser Spirale herauskommt und wie man sich ohne schlechtes Gewissen kleine Auszeiten gestalten kann und so einem Burnout vorbeugen kann (oder, wenn man schon kurz davor steht, wie man sich selbst helfen kann, aus dieser Burnoutspirale herauszukommen, Fachinterviews und konkrete Hilfsadressen inklusive).
Vergesst nie: Wer vergisst, sich um sich selbst zu kümmern, hat irgendwann keine Kraft mehr, sich um andere zu kümmern. Es ist wie bei der Sauerstoffmaske im Flugzeug: Die setzt ihr Euch auch zuerst auf und helft dann den Kindern!
Kennt Ihr eigentlich schon mein Kochbuch? „Das Familienkochbuch für nicht perfekte Mütter“ – dort findet Ihr mehr als 80 Rezepte – unkompliziert nachzukochen und zu backen!
Kennt Ihr auch meine anderen Bücher?
„Afterwork Familie: Wie du mit wenig Zeit dich und deine Familie glücklich machst.“
„Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.“
Und mein Kinderbuch: Der Blaubeerwichtel
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