Talentförderung ab 3 Jahren: Ist das Ihr Ernst?

Neulich bin ich in einer großen Stadt an einer Musikschule vorbeigegangen. Instrumentenunterricht. Singen lernen. Das Übliche stand da an der Tür. Und ein großes Plakat, was mich anhalten ließ: „Talentförderung ab 3 Jahren.“ Bitte was? Ab 3 Jahren? Ist das Ihr Ernst, liebe Musikschule? Ich dachte an meinen Kleinen, der bald seinen dritten Geburtstag feiert und stellte ihn mir vor, wie er mozartgleich am Klavier Etüden spielt. Und bei dieser Vorstellung musste ich mich dann doch ein wenig schütteln. Wer kommt denn bitte auf die Idee, so ein kleines Kind zur Talentförderung zu schicken?! Ich habe nichts gegen Musikunterricht, nichts gegen Sportkurse – aber der Begriff Talentförderung im Zusammenhang mit dem zarten Alter von 3: Damit habe ich ein Problem.

musikalische Früherziehung

Brauchen Dreijährige schon eine Talentförderung?

Nicht falsch verstehen: Ich finde Musik wichtig. Sehr wichtig sogar. Wichtiger als Babyschwimmen. Wichtiger als Pekip. Meine Kinder wachsen mit Musik auf, wir singen viel, ich selbst spiele Klavier und Gitarre und habe lange im Chor gesungen. Ich summe ständig ein Lied vor mir her, wir drehen nachmittags auch gern mal eine CD auf und tanzen dazu. Und meine Jungs mögen es, auf dem Klavier wild herumzuklimpern. Von allen Babykursen fand ich den Babymusikgarten am besten und die musikalische Früherziehung war tatsächlich der Kurs, zu dem ich mit meinen Kindern am liebsten gegangen bin. Bei der Auswahl des Kindergartens war mir wichtig, dass viel gesungen und musiziert wird.

Musikalische Früherziehung gerne – aber Talentförderung mit 3?!

Aber bei dem Gedanken an so etwas wie eine „Talentförderung ab 3 Jahren“ überkommt mich das Grausen. Großes Unverständnis. Gegenüber den Eltern, die ihre Kinder dorthin schicken. Gegenüber den Lehrern, die so etwas anbieten – wobei die wahrscheinlich nur auf die entsprechende Nachfrage reagieren.

Ich weiß nicht, wie diese Talentförderung genau aussieht. Sie mag ja sehr spielerisch sein und so gar nichts mit dem Drill zu tun haben, der das Wort unweigerlich bei mir als Assoziation auslöst. Aber schon allein, diesen Kurs so zu nennen – das ist … unglaublich. Was soll damit bei den Eltern geweckt werden, die ihre Kinder dort anmelden? Was möchte man mit diesem Begriff ausdrücken? Was unterscheidet die musikalische Früherziehung von der Talentförderung?

Brauchen Dreijährige eine Talentförderung? Egal welcher Art. Welche Talente sollen gefördert werden? Müssen Dreijährige eigentlich schon speziell in irgendwelchen Talenten gefördert werden? Mit welchem Ziel? Dass sie dann mit vier Jahren ein kleiner Mozart sind? Wieso müssen heute alle Begriffe mit solchen Superlativen versehen werden?!

Reicht den Eltern von heute der normale Klavierunterricht nicht mehr aus?

Reicht nicht die normale musikalische Früherziehung aus? Oder für Ältere der stinknormale Klavierunterricht? Oder genügt so ein Normalokurs heutzutage nicht mehr den Ansprüchen der modernen Gattung Homo Helicopter-Parentensis? Kann man auf dem Spielplatz nur noch punkten, wenn man sagt: „Wir sind ja dienstags immer bei der musikalischen Talentförderung?“ Sind es die Eltern, die für ihre Sprösslinge nur das Beste wollen und suchen und deshalb den pupsnormalen Babymusikgarten gar nicht weiter beachten, sondern nur die Talentförderung für ihren achso begabten Klein-Ottokar wollen?

(wer einen kleinen Ottokar zuhause hat – das soll keine Beleidigung des Namens sein, mir fiel grad nur nix anderes ein)

Talentförderung für Dreijährige: Wie viel Frühförderung von Kindern muss sein? Wieso eltern oft dazu neigen, zu viel zu machen

 Wie viel Förderung brauchen unsere Kinder?

Können Kinder nicht einfach Kinder sein? Sich einfach ausprobieren, die eigenen Möglichkeiten entdecken? Müssen heutzutage alle irgendein besonderes Talent haben? Und bestmöglichst auf die Zukunft vorbereitet werden? Haben tatsächlich alle Angst vor diesen Zeitfenstern, die sich schließen könnten?

Muss man seine Kinder reinpressen in „der hat ein musikalisches Talent“ und „das ist unsere Sportkanone“? Haben sie nicht Zeit genug, ihre Talente selbst zu entdecken?

Und selbst, wenn ein Dreijähriger mit großer Leidenschaft auf Mutters Klavier herumklimpert: Schadet es ihm und seinem Talent, wenn er es erst mit fünf oder sechs richtig lernt? Und bis dahin einfach Freude daran hat, rumzuklimpern, ohne Noten, ohne Üben, ohne Anweisung?

Was für eine verrückte Welt! Bei dem Gedanken an megafrüh geförderte Musiktalente tauchen vor meinem inneren Auge Mozart und Michael Jackson auf. Und beide hatten eine Kindheit, die ich meinen Kindern nicht wünsche, keinen Kindern wünsche. DAS kann doch nicht ernsthaft irgendeiner Mutter oder einem Vater vorschweben!

Musik ja und gerne viel davon. Instrumentenunterricht und Kinderchor: Finde ich wichtig und toll!

Aber Talentförderung ab 3, das geht dann doch zu weit.

Oder was denkt Ihr?

Ich frage mich auch, wie die Eltern von Dreijährigen darauf kommen, dass genau ihr Kind nun ein großes musikalisches Talent hat? Oder – und bei dem Gedanken grusel ich mich – schicken sie ihr Kind parallel zur musikalischen Talentförderung auch zum Ballettunterricht und zum Zeichenunterricht? Damit ja keines der verborgenen Talente beim dreijährigen Spross zu kurz kommen?!

Das wäre… oh je, mir fehlen die Worte.

11 Kommentare zu “Talentförderung ab 3 Jahren: Ist das Ihr Ernst?

  1. Hallo,
    Ich glaube es gibt viel zu viele Eltern, die denken, dass ihre Kinder Supertalente sind und sie in jeden Kurs stecken den sie finden! Ab besten ganz teuer. Ich kenne durchaus Kinder da sieht die Woche so aus: Montag: Tennis, Dienstag: Klavier, Mittwoch: Englisch, Donnerstag: Reiten, Freitag: Schwimmen und Englisch und am Wochenende dürfen sie sich mal verabreden! Furchtbar! Und leider echt wahr!
    LG, Natalia

  2. Mein Sohn (4 1/2 Jahre) geht jetzt zum Musikunterricht, aber eher aus Spaß & die Gruppe besteht aus Kindergarten-Freunde. Ja, es nennt sich musikalische Früherziehung. Das ist mir aber schnuppe. Hab auf mein Bauchgefühl gehört & empfinde es als richtig, ihn dahin zu schicken.

  3. Mit 3 Jahren sollten Kinder spielen, die Welt erforschen, nicht umsonst sollen Manager auch spielen. Talent und Interesse zeigen sich von selbst. Kinder sind da sehr kreativ. Ein ganze Wirtschaftszweig hat sich daran gehaengt, der die Aengste von unsicheren Muettern ausnutzt.

  4. Meine 3 sind alle musikalisch, manchmal so sehr, daß es nervt. Die Kleine hat mit 4 alles besungen, was nicht bei 3 auf dem Baum war. Die Große war eher an Instrumenten interessiert, vor allem an denen, die sie im Kindergarten selbst bauen durfte. In unserer Familie waren einige Vorfahren Musiker bzw. musikalisch, weil mir jedoch leider die Zeit und Grundlagen für konsequente Unterstützung fehlten, hab ich die Mädchen auf ihren eigenen Wunsch mit 6 und 8 Jahren zur Musikschule angemeldet. Es blieb bei ihren Vorlieben: die eine singt fantastisch, die andere spielt besser Klavier. Sie singen mit Stolz im Theaterchor, in der Schule und einmal im Jahr als festes Highlight bei einer Charityveranstaltung meines Arbeitgebers. Ihr kleiner Bruder war von Geburt an gelegentlich beim Unterricht, Proben und Auftritten dabei. Er singt die Lieder seiner Schwestern in bemerkenswerter Qualität nach und hackt mit Vorliebe dann auf dem Klavier rum, wenn sie üben wollen. Also durfte er mit 3 Jahren schon am Musikater-Kurs im Kindergarten teilnehmen. Er ist regelrecht närrisch, wenn Freitags seine Anneliese nun schon im 2. Jahr den Kurs gestaltet. Ich finde, daß man die Talente fördern sollte, die die Kinder selbst zeigen. Dabei darf man jedoch nicht den Blick für’s Ganze verlieren. Es muß immer genug Zeit zum Spielen und lernen und Treffen mit Freunden übrig bleiben. Deswegen haben wir ohne Bedauern auf Klassiker wie Tanzen und Reiten verzichtet. Meinen Kindern macht es Spaß und sie sind stolz wie Bolle, wenn der Applaus erklingt.

    • Das sehe ich so wie dDu, Peggy. Ich habe als Kind auch mit sechs mit der Blockflöte angefangen und bin dann auf eigenem Wunsch zu Orgel und Klavier gewechselt, im Chor war ich auch, seit ich denken kann. Aber meine Eltern haben mich nie gedrängt. Ich finde Musik wichtig und musikalische Projekte – aber gerade bei den ganze Kleinen sollte es immer spielerisch bleiben… und Talente kann man auch später noch fördern. Mit drei finde ich es viel zufrüh!

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