Gastbeitrag: „Mein Leben mit einer Autoimmunerkrankung und die Kunst, sich mehr Lebensqualität ins Leben zu zaubern“

Ich freue mich immer, wenn ich hier auf dem Blog auch andere Eltern zu Wort kommen lassen kann – denn wir Eltern sind so vielfältig und genau diese Vielfalt möchte ich hier auch auf dem Blog abbilden! Heute schreibt bei mir Britta über ihr Leben mit einer Autoimmunkrankheit, was das für sie als Mutter bedeutet und wie sie den Alltag meistert. Ein spannender Text, der auch Hoffnung macht. Lest selbst, was Britta schreibt: „Die Reise, die vor 35 Jahren begann, hab ich mir nicht selbst ausgesucht. Alles fing damit an, dass ich an einem Tag mit einem komplett steifen Kniegelenk im Bett lag. Damals war ich knapp 3 Jahre alt. Es begann ein langer Weg über diverse Arztbesuche und unterschiedliche Diagnosen und Mutmaßungen. Letztendlich sind wir an eine Klinik geraten ( St. Josef Stift ist ein Orthopädisches und Rheumatologisches Kompetenzzentrum), welches heutzutage einer der besten ausgezeichneten Kliniken auf der ganzen Welt ist. Der damalige leitende Arzt Dr. Ganser hat schnell die Diagnose „juvenile Oligoarthritis“ gestellt. Nun war sie da die Diagnose „Rheuma“, aber was bedeutete das eigentlich für meine Familie? Mein Alltag war von nun an geprägt von Einschränkungen im Alltag und regelmäßiger Physiotherapie.

Meine Physiotherapeutin hatte ich abgöttisch geliebt. Sie hat mich spüren lassen, das sie ihren Job gern gemacht hat und viele tolle Ideen gehabt, wie ich im Alltag besser zurecht kommen würde. In der Schulzeit später saß ich öfter mit dem Attest auf der Bank, als dass ich teilnehmen konnte. Es gab für damalige Verhältnisse extrem lange Klinikaufenthalte mit Therapieplänen von 5 bis 6 Wochen. Das waren schon belastende Zeiten für alle, es gab aber auch immer wieder tolle und lustige Momente, wo man als Grundschulkind mit dem Laufrad durch die ganze Klinik gedüst ist oder sich für die Krankenschwestern damals Streiche überlegt hat, wenn die das Mehrbettzimmer betreten haben. Die Kältekammer ist auch heute noch KULT. Eine Kammer ( Vorraum und -Hauptraum) wo man nur mit wenig Kleidung bei bis zu -110/ 150 Grad sich bewegt, im besten Falle zu Schlager oder Partymusik.

Das Kniegelenk war durch die starken Entzündungsschübe immer wieder in seiner Beweglichkeit stark eingeschränkt. Die Klinik war gefühlt mein zweites Zuhause, aber wenn man nach Therapie und jeder Menge Spritzen wieder nach Hause durfte, fühlte man sich wenigstens für einen kurzen Zeitraum besser. Ich kann mich daran erinnern, dass mich mein Vater damals oft auf seiner Route mit dem LKW besucht hat oder einen Umweg gefahren ist. Meine Mutter hat es irgendwie geschafft, alles unter einen Hut zu bekommen. Dabei hat sie sich damals noch sehr intensiv um meine kleine Schwester mit einer geistigen Behinderung kümmern müssen. Erst im Schulalter begriff ich, dass das keine Eintagsfliege sein und mich mein Leben lang begleiten würde. Im Teenageralter hatte ich eine lange Zeit überhaupt keine Beschwerden und fühlte mich fitter und glücklicher denn je. Bis ich dann nach Jahren wieder einen heftigen Schub bekam.

Auch in späteren Beziehungen und mit Freunden konnte ich oftmals im Ausüben von Hobbys nicht mithalten. Schnell wurden Ausreden erfunden oder ich hab mich bei passender Gelegenheit zurückgezogen. Im Alter von 26 Jahren kam die Diagnose Arthritis in beiden Armgelenken dazu. Es war wie ein Dejavu. Eines Morgens wachte ich auf und konnte meine Arme nicht mehr richtig bewegen. Ich lief wie ein Roboter durch die Wohnung und fragte mich ernsthaft, ob ich im richtigen Film war. Auch hier war ich wieder auf fremde Hilfe angewiesen. Ließ mir den Mantel anziehen, Schuhe zubinden und bei eigentlich belanglosen, einfachen Dingen im Alltag helfen. Ich ging nur kurze Zeit danach zu einem Orthopäden, der schnell eine Abklärung über ein MRT eingefordert hat. Nach dem MRT wusste ich, es ist eine Gelenkentzündung ( Arthritis ) in beiden Armgelenken. Spritzen, Umschläge, Kühlen und Medikation war hier wieder mein Freund und Helfer. Die Schübe hielten hier je nach Anwendung unterschiedlich lang an.

In dieser schwierigen Zeit hab ich meinen Mann kennengelernt. Er hatte von Anfang an nichts in Frage gestellt oder Probleme mit einer chronischen Erkrankung. Er hat mich intensiv unterstützt und mich auf diesem Weg begleitet. Medizinische Eingriffe und Knie OP waren auch irgendwann in greifbarer Nähe. Ich muss heute noch schmunzeln und gleichzeitig den Kopf schütteln und sagen: „Waren wir eigentlich verrückt?“ Eine Knieoperation mit längerem Heilungsprozess, ein Eigenheim umgestalten und Großbaustelle, Planung der kirchlichen Hochzeit alles auf einmal. Eine Achterbahn der Gefühle. Positiv gestimmt dachte ich in diesem Jahr noch, dass durch die Operation für einen sehr langen Zeitraum Ruhe in die Rheumageschichte einkehren würde. Ich hatte in dieser zeit auch aufgrund der Beschwerden emotional damit zu kämpfen. Eine Beraterin der Rheuma Liga hatte mich damals gut beraten und informiert, mich in vielerlei Hinsicht zum Nachdenken angeregt. Ich sollte neue Dinge ausprobieren, mehr mit anderen ins Gespräch kommen und für mich Ziele und Prioritäten setzen/ anders fokussieren.

Der Kinderwunsch war auch in greifbarer Nähe und ich hatte mich damals mit Oberärzten der Klinik dazu ausgetauscht. Ich musste meine Medikation für einen langen Zeitraum absetzen um sicher zu gehen, so das eine Schwangerschaft ohne jegliche Komplikationen erfolgen konnte. Es hat geklappt und im Jahr 2016 bekamen wir dann unser erstes Kind, einen Jungen namens Henri und 2019 folgte die kleine Schwester Carolina. Ein so besonderes Ereignis, das man sein Leben lang nicht vergisst. Jörg Pilawa als Botschafter für die Kinderrheumatologie hat mal gesagt „ Hat ein Kind Rheuma, hat die ganze Familie Rheuma“ und irgendwie trifft es das ganz gut. Die Eltern steckten auch damals tief mit drin und machten das Leben so erträglich wie möglich und haben immer ihr Bestes gegeben. Dafür bin ich Ihnen auch heute noch sehr dankbar. Nun bin ich selber 2fache Mama und muss mich in Phasen immer wieder zurücknehmen, Hilfe annehmen und auch den Kindern erklären, warum gewisse Dinge vielleicht nicht so gut gehen. Kreativ sein, Durchhaltevermögen, weniger Stress, Ruhephasen und Zusammenhalt ist oft die Devise.

Da kommt aber des Öfteren dann doch schon etwas Frust in mir hoch, wenn der große Bruder dann gerne fangen spielen möchte oder wir auf dem Boden kriechend Tiere spielen und Mama aber sagt:“ Ich muss mal kurz eine Pause einlegen, ..gleich geht’s weiter, ..frag mal Carolina ob sie mit ins Zimmer kommen möchte?!“ Wie gut das das „Arztspiel“ bei uns immer zieht und ich mich von den Kindern rundum versorgen lassen kann.

Was sind eigentlich Schübe?

Die Schübe äußern sich häufig in zunehmenden Beschwerden/ Schmerzen der Gelenke, Einschränkung in der Beweglichkeit des Gelenkes, Anschwellung und Überhitzung bis hin zur kompletten Versteifung. Mit zunehmendem Alter ist meist der Knochen aufgrund der chronischen Erkrankung und des stetigen Entzündungsprozesses dann auch betroffen. Oft wird geschaut, welcher Weg der Richtige ist und was an Maßnahmen durchgeführt wird, da der Erhalt der „Lebensqualität“ und Gesundheit ein wichtiger Faktor ist. Der Einsatz künstlicher Gelenke kann u.a. der Entlastung anderer Gelenke dienen, ist aber nicht in jedem Fall nötig oder ein Thema. Bei jedem kann der Schub milde oder sehr stark verlaufen, abgesehen auch von der Dauer.

„Viele verstehen nicht, was es bedeutet mit einer Autoimmunerkrankung zu leben“ Aussagen wie: „So jung und dann schon Rheuma? Ich finde es schade, dass du sportlich nicht mithalten kannst/ es für dich eine Herausforderung ist! Mit Hilfsmitteln wird’s bestimmt besser! Kriegt man sowas mit Ernährung in den Griff?“, „Was macht das Knie, ..wie es ist immer noch nicht besser?“ Komische Blicke und unglaubwürdige Fragen in Sportgruppen von Betroffenen, weil ich oft die Jüngste Betroffene war und viele andere Situationen und Beispiele habe ich erlebt. Oft wird trotz des Wissens aber dieses Thema nach meinem Gefühl totgeschwiegen. Die Annahme, dass nach einem Schub wieder alles ok ist, ist oft allgegenwärtig.

Aber warum ist das so? Ich glaube es braucht intensive Aufklärung, Empathie und Interesse und Wege der Unterstützung.. mag sein das es auch eine Ratlosigkeit oder Verharmlosung der Gesellschaft ist. Die Rheumatologieabteilungen/ praxen in den Orten platzen vor Anfragen und Betreuung aus allen Nähten. Hat man einen aktuellen Entzündungsprozess und Krankheitsschub, dann ist es oft der Fall das man keine Chance hat direkt und zeitnah medikamentös oder durch Cortisonbehandlung vorstellig zu werden.. es vergehen Wochen oder Monate bis zu einem Termin. Also wird der Gang zum Hausarzt und Orthopäden empfohlen. Mittlerweile weiß man, dass es keine „alte Leute Krankheit“ ist und es an die über 100 verschiedenen Rheumaerkrankungen gibt. Die Rheuma Liga hat vor einiger Zeit dazu eine tolle Kampagne auf die Beine gestellt, die heißt „Rheuma ist jünger als du denkst“. Dabei will sie gegen Vorurteile angehen. Häufig sind es die großen Probleme auf gesellschaftlicher, politischer und medizinischer Ebene.

„Du musst dir schon selber Konfetti ins Leben pusten“

Nun aber Schluss mit Rheuma, Schub, Einschränkung und Co. ES IST WIE ES IST und auch ich habe erst sehr sehr spät gelernt diese anzunehmen und Wege für mich zu finden. Ich versuche auch, mir das Leben nicht von der Krankheit bestimmen zu lassen. Ich kann selbst bestimmen! Ich bin so froh, dass ich dadurch auch Menschen kennenlernen durfte, die mir sehr ans Herz gewachsen sind, die eine ähnliche Geschichte mit mir teilen und wo man aufeinander zählen kann. Manchmal verbindet Krankheit und es entstehen ganz tolle Freundschaften. Ich glaub, ich hab zu den Zeiten im Krankenhaus mit Anke und Sabine noch nie so gelacht. Manchmal ist es auch die Inspiration im Alltag, das Abschalten und Umdenken was mich so glücklich macht. Durch „Potentialperlen„, einer tollen Seite bei Instagram, hab ich vieles neu überdacht und gelernt, wieder öfters an „MICH“ zu denken. Das war nicht nur vor der Zeit mit den Kindern oft schwierig für mich, sondern erforderte auch als Mama dann ein Umdenken und ein Loslassen. Meine Kinder lenken mich in jeder Hinsicht davon ab und ich probiere unheimlich gern neue kreative Dinge mit Ihnen aus.

Wir füllen Sinneswannen mit unterschiedlichen Materialien, fahren spontan irgendwo hin um uns etwas anzuschauen, gestalten zu Coronazeiten den Keller in ein Bewegungsraum um usw. Zuhause im Garten und auch in anderen offenen Gärten hab ich meine Wohlfühloase und neues Hobby entdeckt. In der Natur kann ich gut abschalten und genießen. Die Leidenschaft zum Reisen teile ich mit allen Familienmitgliedern und ich bin gefühlt am Wasser heimisch. Kroatien ist nicht nur durch Familienbesuche zur zweiten Heimat geworden. Das Inselleben, die Landschaft, die Mentalität der Leute und das entspanntere Leben dort mag ich sehr. Mein Schwiegerpapa ist auch Rheumatiker und oft haben wir bei dem Thema den gleichen Humor.. das verbindet sehr.

Es sind die kleinen Dinge im Leben die mich immer wieder positiv stimmen und mich beflügeln. Ein Gespräch mit der besten Freundin und die Zeit mit meinem Patenkind, die Zeit mit meiner Kollegin und Freundin, das ich mehrere Monate gemeinsam mit ihr zusammenarbeiten und plötzlich ganz neue Erfahrungen sammeln darf. Die Doku auf Netflix, die mich nachdenklich stimmt, dass es auch noch etwas überm Tellerrand gibt.. lenke den Fokus auch mal auf andere Dinge  probiere etwas Neues aus.. Scheitern kann man immer noch, aber dann hat man es wenigstens versucht. Wichtig ist mir nach wie vor sehr der Austausch mit Familie und Freunden, aber auch Personen, die z.b. eine ähnliche oder gleiche Erkrankung haben. Im Moment habe ich richtig Freude daran, Neues in der Ernährung auszuprobieren. Zucker und großer Fleischkonsum ist auch für Rheumatiker oft ein rotes Tuch und kann zu vermehrten Entzündungsschüben führen oder diese unterstützen. Ich teste einfach vieles aus und die Kinder finden auch Gefallen daran. Es gibt mehr Momente die mich mit meiner Familie stolz machen, als das ich über die Zukunft grübel. Es sind die Erinnerungen, die wir gerne festhalten. Ein Reisetagebuch schreiben und Momente einfangen, Abends Einträge ins Notizbuch (ein guter Plan) machen und dazu ein leckeres Getränk…festhalten was möchte ich ändern, was lief gut/ was nicht und was steht noch auf der Bucket List…Bald ist wieder großer Ärztecheck und ich hoffe, dass mir dieses Mal gesagt wird, dass ich noch einige Monate warten kann, bis ich ein künstliches Kniegelenk bekomme.. den Sommer möchte ich noch mit meiner Familie noch genießen Liebe Nathalie ich DANKE dir für dein Interesse!!“

Liebe Britta, ich danke Dir für Deine Offenheit!

Falls ihr auch ein Thema habt, über das ihr gerne schreiben wollt, dann mailt mir doch einfach an nk@nathalie-kluever.de – ich freue mich immer über Gastbeiträge!

Mein neues Buch erscheint bald! „Das Kind wächst nicht schneller, wenn man daran zieht“: Und hier könnt es jetzt schon vorbestellen!

Kennt Ihr auch  meine anderen Bücher?

 „Afterwork Familie: Wie du mit wenig Zeit dich und deine Familie glücklich machst.“
  Die Kunst, keine perfekte Mutter zu sein: Das Selbsthilfebuch für gerade noch nicht ausgebrannte Mütter 

Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.“

Und mein Kinderbuch: Der Blaubeerwichtel

Kennt Ihr eigentlich schon mein Kochbuch? „Das Familienkochbuch für nicht perfekte Mütter“ – dort findet Ihr mehr als 80 Rezepte – unkompliziert nachzukochen und zu backen!

Willkommen bei der ganznormalenMama! Wollt Ihr familienfreundliche Reisetipps? Oder kinderleichte Rezepte? Oder Lustiges, Nachdenkliches aus dem Mamaalltag? Dann stöbert im Archiv und folgt mir auf Facebook, bei Instagram oder Pinterest– ich freue mich auf Euch!

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