Der Corona-Lockdown war für niemanden einfach – aber viele von uns Eltern stellte die vergangene Zeit besonders auf die Probe. Und das mit spürbaren Folgen. Für Sarah aus Lübeck waren die vergangenen Wochen der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein: Denn sie entschloss sich schweren Herzens ihr Ladengeschäft in der Lübecker Innenstadt zu schließen und ihren Traum von der Selbständigkeit vorerst hintanzustellen. „Ich gebe einen Lebenstraum auf, für den ich jahrelang gekämpft habe“, sagt sie im Interview. Und nicht nur das: Um näher an der Familie zu sein und so den Spagat der Vereinbarkeit besser hinzubekommen, wird sie sogar umziehen und zwar nicht nur um die Ecke, sondern nach Bremen. Ein Neuanfang. Sie hat mir in einem Interview erzählt, wie sie zu der Entscheidung kam. Und das zeigt, wie schwer das Ding mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist, und auch schon vor Corona-Zeiten so war, und wie sehr die vergangenen Wochen die Situation für uns Eltern erschwert haben.
Wie lange warst du selbständig mit dem Laden „Hansefratz„?
Sarah: Insgesamt bin ich seit 9 Jahren selbstständig, davon 5 1/2 Jahre lang mit eigenem Ladengeschäft.
Und was sind die Gründe, weshalb du dich nun zur Ladenschließung entschlossen hast?
Sarah: Seit dem Lockdown bin ich jeden Abend mit einem schlechten Gewissen eingeschlafen, ich werde keiner Rolle gerecht- weder der der selbstständigen noch der Rolle der Mutter, da ich mich nicht teilen kann. Ich bin Mutter zweier Kinder (7 und 2 Jahre alt), unter anderem hat meine kleine Tochter, 2 jährig, verschiedene Diagnosen und Pflegestufe 2 im Februar/März bekommen und uns fehlt für sie jegliche Betreuung, so das ich sie die letzten beiden Jahre tageweise komplett mit im Laden hatte.
Ich wusste nun einfach nicht mehr, wie ich es in der aktuellen Lage umsetzen soll.
Meine Kinder betreuen und zusätzlich mein Ladengeschäft erhalten kann.
„Vereinbarkeit von Homeoffice und Kinderbetreuung: Machbar ist das für keinen!“
Welche Rolle spielt der Coronalockdown?
Sarah: Von heute auf morgen fehlten jegliche Einnahmen. Dazu die Angst der Ungewissheit, wie lange verharren wir in der Situation. Zudem standen beide Kinder unter zwei wöchiger Quarantäne, da unsere Ergotherapeuten an Corona erkrankt war, die Tests waren negativ, die Quarantäne wurde trotzdem für zwei Wochen erteilt.
Mein Mann war im Homeoffice, musste aber natürlich auch seinen Job voll erfüllen und sein Team aus dem Homeoffice heraus leiten. Ich weiß nicht, wer jemals die Vereinbarkeit von Homeoffice und Kinderbetreuung ins Spiel gebracht hat- aber machbar ist das für keinen! Auch für Kinder nicht- wie sollen sie verstehen das Mama und Papa zwar Zuhause sind, aber zum Beispiel durch eine Telefonkonferenz mehrere Stunden nicht zur Verfügung oder ansprechbar sind?!?
Was war der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte?
Sarah: Die Situation spitzte sich mit Eröffnung der Geschäfte zu, wie soll ich den Tag über öffnet, das Hygienekonzept einhalten plus Abstandsregel und gleichzeitig zwei Kinder betreuen? Zumal, wie sollen das meine Kinder verstehen? Sie sind im Laden aufgewachsen, es ist wie ein zweites Zuhause, auf einmal den Bewegungsrahmen auf ein Minimum beschränken, Kinder im Laden nicht mehr begrüßen, zusammen spielen- wie vor Corona, es ist nicht mehr möglich.
„In all den Jahren der Selbständigkeit war es immer ein Drahtseilakt“
Was waren die Haupt-Herausforderungen?
Sarah: Ab dem 21.3. fertigte ich Behelfsmasken an, die Nachfrage war enorm, die Anforderung an das Zeitmanagement für mich und meine Familie auch. Es entstand die „Warte-mal-Mama“ oder „gleich-Mama“, ich glaube in all den Jahren der Selbstständigkeit war es immer ein Drahtseilakt. Nach der Geburt unserer zweiten Tochter habe ich nach vier Tagen wieder gearbeitet, also ich war Stress erprobt, aber dieses hier überstieg alles. Wie sollte ich dem allen gerecht werden. Es entstanden Tage an denen ich abends bis tief in die Nacht gearbeitet habe, um morgens für ein oder zwei Stunden Masken im Laden anbieten zu können. Danach wurden die Kinder betreut, dann nachts nähen- ich geriet wirklich an die Grenzen des Machtbaren für mich.
Was hätte dir geholfen, was hättest du dir für eine Unterstützung gewünscht?
Sarah: Es ist schwer zu sagen, aber eine Soforthilfe, die sofort gekommen wäre- hätte für Entlastung gesorgt. Und ein Konzept mit wirklichem Stufenprogramm- ich verstehe bis heute nicht, warum man erst Geschäfte öffnet, und uns später die Maskenpflicht nachschiebt. Warum am Wochenende die Geschäftswiedereröffnung entschieden wird und alle am Montag öffnen, ohne Vorbereitungen zu treffen und Konzepte vorlegen zu können.
Woran fehlt es generell, um selbständigen Müttern mehr unter die Arme zu greifen?
Sarah: Definitiv an der Kinderbetreuung und der dazugehörigen Flexibilität.
Obwohl wir unsere Tochter mit Geburt angemeldet haben, erhielten wir keinen Betreuungsplatz. Selbst jetzt nach ihrer Diagnose scheint es unmöglich einen Betreuungsplatz zu bekommen, weshalb wir nun aus Lübeck wegziehen. Jeder kann seinen Job nur gut machen, wenn er weiß, das seine Kinder in der Zeit gut betreut sind- es muss eine Selbstverständlichkeit werden, das Kinder die bestmögliche Betreuung erhalten und den Familien auch so ermöglicht wird, wirtschaftlich tätig zu sein.
„Ich gebe meinen Lebenstraum auf, für den ich jahrelang gekämpft habe“
Wie geht es dir jetzt mit der Entscheidung?
Sarah: Ohje, schwer zu sagen. Wir haben es ja zusammen entschieden, für die Kinder, für uns als Familie und auch für mich als Mutter. Natürlich gebe ich meinen Lebenstraum auf und etwas wofür ich jahrelang gekämpft habe- aber wer weiß was die Zukunft bringt.
Und wie geht es bei dir weiter?
Sarah: Wir ziehen nun Mittwoch aus Lübeck weg. Mein einziger familiärer Fels hier, war und ist meine wundervolle Schwester, leider wohnt sie in Neustadt also 30 km entfernt, Corona hat uns endlich nahe zusammen gebracht, dafür bin ich sehr dankbar. Aber nach langer Überlegung ziehen wir in Geburtsstadt meines Mannes nach Bremen, dort wartet viel Familie auf uns.
Welche Pläne hast du?
Sarah: Sobald wir uns in Bremen zurecht gefunden haben und die Mädels gut angekommen sind, fange ich wieder an- vor erst aber ohne Ladengeschäft. Solange ein weiterer Lockdown in der Luft schwebt, ist mir das wirtschaftliche Risiko zu groß.
Zu dem sind alle Künstlerfeste und Kunsthandwerker Märkte abgesagt. Dadurch werde ich den Onlineshop reaktivieren, Facebook und Instagram wieder aktiv führen. Und mehr Zeit in Ideen umgesetzt und nicht nur ausdenken investieren.
„Es geht weiter, immer, nur manchmal anders als vorher“
Was hast du für dich selbst aus den letzten Wochen als eine Art Lehre gezogen?
Sarah: Ich habe mich immer wieder versucht zu beruhigen, wie mit einem Mantra- das hier kannte keiner von uns bisher, es gibt kein Patentrezept, kein Buch in dem wir nachschlagen hätten können etc., um mir für mich das Gefühl des Versagens keinen Raum zu geben, denn dieses bleibt. Dass ich es nicht geschafft habe, alles zu wuppen, alles zu managen und unter einen Hut zu bekommen. Ich musste akzeptieren, dass auch ich die Grenzen habe :-) Rückblickend habe ich so viel geschafft, das werde ich mir von Corona nicht kaputt machen lassen, es geht weiter, immer, nur manchmal anders als vorher.
Liebe Sarah, danke für Deine Offenheit! Ich wünsche Dir alles erdenklich Gute für den Umzug nach Bremen und drücke Dir die Daumen, dass Du dort schnell Deinen Traum wieder verwirklichen kannst! Auf Instagram findet Ihr Sarah übrigens als „Hansefratz„. Ich freue mich immer, wenn auf meinem Blog auch andere Mütter (und auch Väter!) zu Wort kommen, denn ich zeige gerne die gesamte Vielfältigkeit des Elternseins. Und gerade in diesen Zeiten müssen wir zusammenhalten und uns gegenseitig unterstützen!

Das ist Sarahs schöner Laden „Hansefratz“ – den sie nun leider aufgeben musste. Aber es wird einen Onlineshop geben!
Kennt Ihr mein Kochbuch? „Das Familienkochbuch für nicht perfekte Mütter“ – dort findet Ihr viele Rezepte nicht nur für Kinder – unkompliziert nachzukochen und zu backen!
Kennt Ihr auch meine anderen Bücher?
„Afterwork Familie: Wie du mit wenig Zeit dich und deine Familie glücklich machst.“
„Willkommen Geschwisterchen: Entspannte Eltern und glückliche Kinder.“
Und mein Kinderbuch: Der Blaubeerwichtel
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