Die Abwesenheit von Kindern in unserer Gesellschaft: Verlasst Eure Komfortzone! – #geburtenraten

Dank einer neuen Formel sind wir nun Letzter in Sachen Geburtenrate. Und werden es, so befürchte ich, noch eine ganze Weile lang bleiben. Denn es gibt einfach zu viele Stellschrauben, an denen man drehen muss. Über die Gründe haben sich schon viele geäußert, ich habe viele schlaue Texte gelesen – und möchte deshalb nicht alles noch einmal durchkauen. Sondern lieber davon schreiben, dass wir jetzt schon eine kinderlose Gesellschaft haben. Und das auch das einer Gründe ist, weshalb die Rate so niedrig ist. Als ich selbst mal ohne Kinderwagen unterwegs war, fiel mir die Abwesenheit von Kindern in unserer Gesellschaft erst so richtig auf. Unheimlich ist es. Und ein Vorgeschmack auf das, was uns noch erwartet: Kommt da eine ewige Busreisefahrt mit grauhaarigen Senioren mit praktischen Kurzhaarfrisuren, beigen Anoraks und moosgrünen Jerseyhosen auf uns zu?

Wo sind die Kinder? Schon jetzt fehlen sie im Alltagsbild.

Wo sind die Kinder? Schon jetzt fehlen sie im Alltagsbild.

Ich war beruflich unterwegs. Und zwar nicht nur an meinem Schreibtisch im Home Office, sondern so richtig mit Zug und S-Bahn außer Haus. Ohne Buggy und Kind, dafür mit Notizblock und Kamera. Und dabei ist es mir aufgefallen: Es waren gar keine Kinder unterwegs. Stattdessen junge Menschen Anfang 20 mit Knopf im Ohr und Smartphone in der Hand. Einige. Aber vor allem: ältere Menschen. Älter als ich. Schon wir Mitte 30er sind in der Unterzahl!

Familien und kinder brauchen eine Lobby: Damit die Politik uns Eltern nicht vergisst, müssen wir sichtbarer werden und uns nicht auf den Spielplätzen verstecken.

Abseits der Spielplätze und hippen Szeneviertel ist die Welt 50+

Da waren die Mitte 50er, die zugegeben heute nicht mehr ganz so alt aussehen wie die Mitte 50er vor zehn Jahren. Aber sie waren in der Mehrzahl, sie waren überall. Am Bahnsteig, im Zug, auf der Straße, in den Büros. Und als ich an einer Bushaltestelle vorbeikam, wo ein Reisebus hielt, bekam ich einen Eindruck, wie es in zehn Jahren aussehen wird, wenn die heute Mitte 50er in die Rente gehen. Die Türen öffneten sich und die Welt wurde beige. Und grau. Und moosgrün. Eine Reisegruppe wollte sich die Stadt ansehen. Graue Kurzhaarfrisuren, beige Anoraks, Hosen ohne zuordbare Farbe, nur die peppigen schwarzen Rucksäcke gaben noch einen gewissen Farbakzent. Klar, ist es böse zu sagen: So sehen alle Senioren aus! Aber seien wir mal ehrlich: Die Mehrzahl sieht so aus.

(fragt Ihr Euch manchmal auch, wie unsere Generation wohl auftreten wird, wenn wir dann mit 75 in die Rente gehen dürfen? Ist es genetisch programmiert, dass man ab 65 eine Vorliebe für Beige hat und steht irgendwo geschrieben, dass bequeme Schuhe unförmig sein müssen? Gibt es da vielleicht eine DIN Norm, die besagt: Ab 65 müssen die Haare ab, liebe Frauen?!)

Dieser Vormittag außer Haus zeigte mir, dass unsere Gesellschaft heute schon durch die Abwesenheit von Kinder glänzt. Und dementsprechend verlernt hat, kinderfreundlich zu sein.

Nur wenn Familien sich zeigen, werden sie auch wahrgenommen

In meinem Mama-Alltag und auch hier im Netz unter den Elternbloggern habe ich manchmal den Eindruck, als sei ich nur umgeben von Eltern und Kindern. Sinkende Geburtenraten? Nicht in meinem Bekanntenkreis! Morgens auf dem Weg zum Kindergarten kommen sie einem entgegen, die Mamas mit ihren Kindern im Buggy oder auf dem Laufrad. Nachmittags auf dem Spielplatz: Klar, da rennen die Kinder rum. Abends im Internet twittern die Mamablogger ihre Kindermund-Zitate.

Ich bin seit gestern – hüstel – Mitte 30 und meine Kinder sind eineinhalb und vier. Unsere Freunde sind auch so alt. Also meine Freunde und die Freunde meiner Kinder. Es ist das Alter, in dem die meisten Frauen ihre Kinder bekommen. Kein Wunder, dass es mir so vor kommt, als wären da nur Schwangere und Kinder ringsherum.

Spielecken in Cafés: Eher die Ausnahme

Spielecken in Cafés: Eher die Ausnahme

Man hat ja auch fast nur noch Freunde, die ebenalls Kinder haben. Denn je länger man Kinder hat, umso mehr stellt man diese Parallelwelten fest zwischen Eltern und Kinderlosen, umso mehr entfernt man sich von den kinderlosen Bekannten, schließt neue Freundschaften im Kindergarten oder auf dem Spielplatz, trifft die kinderlosen Bekannten seltener und immer seltener. (Ich hatte mal über diese Parallelwelten geschrieben, lest hier mehr.)

Seien wir mal ehrlich: Hat nicht jeder Bekannte, die das Kinderhaben vor sich herschieben bis es zu spät ist?

Aber wenn wir mal alle ehrlich sind und unseren Bekanntenkreis durchforsten. Fällt dann nicht jedem jemand ein, der gerne Kinder hätte, aber keine bekommen hat? Weil der richtige Partner fehlte, weil der richtige Zeitpunkt (den es meiner Meinung nach gar nicht gibt!) nicht da war, der Vertrag immer wieder nur befristet war und man sich nicht traute, eine Elternpause einzulegen? Weil man erst noch die Karrierestufe erklimmen wollte und hatte man sie erklommen, konnte man ja nun nicht einfach ein Kind bekommen, was soll denn der Chef denken, also erstmal noch ein paar Jahre arbeiten? Oder weil man doch erst noch ein paar Reisen unternehmen wollte, ach und diese Reise noch und nach Australien wollte man vorher auch und das geht ja mit Kindern, na, Ihr wisst schon?

Ich bin mir sicher: Fast jede/r von Euch hat diese Sätze schon einmal gehört? Ich habe sie mehrfach von verschiedensten Frauen gehört.

Tja. Und dann hat man endlich einen befristeten Vertrag. Die Reisen gemacht. Die Karriereleiter erklommen. Und dann fehlt der Mann, weil sich der Traummann schon lange aus dem Staub gemacht hat? Oder noch gar nicht ins Leben getreten ist? Oder man hat ihn und stellt dann fest: Mensch, ich bin zu alt. Es ist ja kein Geheimnis: Das mit dem Kinderkriegen wird nicht leichter je älter man wird. Nur weil man sich mit 40 wie 30 fühlt (Ihr wisst ja: 40 ist das neue 30 und 50 das neue 40) – IST man keine 30 mehr.

Die Eizellen lassen sich nicht durch die Q10-Faltencrème austricksen.

Ich bin mir nicht sicher, ob wir es noch schaffen, in Sachen Geburtenrate Japan und Italien einzuholen.

Kleinstädte voller Sanitätshäuser und Draußen-nur-Kännchen-Cafés

Unsere Gesellschaft hat sich an das kinderlose Bild gewöhnt – und es wird noch schlimmer werden. Geht mal aufs Land, in die Kleinstädte mit ihren 30 000 Einwohnern. Unsere Altstadt in unserer 200 000 -Einwohnerstadt ist nicht repräsentativ, hier wohnen viele Mitt30er mit Kindern. Der Prenzlauer Berg oder die Schanze kann man auch nicht als Maßstab heranziehen. Auch nicht das Vorstadtviertel mit dem Neubaugebiet.

Aber es gibt genug dieser Kleinstädte. Wo es statt Spielcafés draußen nur Kännchen und bodenlange Gardinen gibt. Wo es statt Boutiquen mit selbstgenähter Babykleidung nur Sanitätshäuser und Essen auf Rädern gibt. Wo Rollatoren statt Kinderwagen umhergefahren werden.

Und wie soll die Gesellschaft kinderfreundlicher werden, wenn man sich so an ihre Abwesenheit gewöhnt hat?

Wenn die Kommunalparlamente nur noch voller 65+-Stadträte sind? Wenn der Seniorenbeirat mehr zu sagen hat als das nicht vorhandende Jugendparlament? Wenn jeder Spielplatz weggeklagt wird und der benachbarte Kindergarten gleich mit?

Es ist ja auch bequemer und entspannter, wenn im Restaurant kein Kleinkind einen Trotzanfall hat, weil zwischen den Erbsen mikroskopischkleine Möhrenstücke sind. Es ist ja auch bequemer und entspannter, wenn im Hotel kein Zweijähriger mit lauter Geräuschuntermalung auf dem Trolley Rutscheauto fährt. Es ist ja auch bequemer und entspannter, wenn im Hotelpool kein Dreijähriger laut juchzend den Vater nassspritzt. Es ist ja auch bequemer und entspannter, wenn im Zugabteil kein Baby Koliken hat und geschaukelt werden will.

Kinder machen Lärm. Und vor allem viel Freude!

Kinder machen Lärm. Und vor allem viel Freude!

Was ich sagen will: Wir Eltern haben uns mit unseren Kindern Inseln geschaffen. Die Spielplätze, die Neubaugebiete, die Cafés mit Spielecke, die Familienhotels oder Ferienwohnungen. Wir bestellen die Pizza anstatt sie im Lokal zu essen, weil es im Restaurant keine Kinderhochstühle gibt.

Weil es auch für uns schöner ist. Weil wir Rücksicht nehmen wollen.

Schön und gut. Aber Kinder gehören in den Alltag, Kinder müssen sichtbar sein. Damit die Gesellschaft nicht bequem wird, sich nicht an die Abwesenheit von Kindern gewöhnt. Und irgendwann ob der Abwesenheit einfach vergisst, dass Kinder da sind, was Familien brauchen und dass man ihnen ein entsprechendes Umfeld schaffen muss.

Wenn Kinder nicht präsent sind, ist es kein Wunder, dass die Politik sie vergisst

Es ist kein Wunder, dass die Politik uns vergisst (und zum Beispiel Steuervorteile immer noch an eine Hochzeit knüpft und nicht an die Kinderzahl), es ist kein Wunder, dass die Restaurantbesitzer die Kinderhochstühle vergessen, dass die Geschäfte Rampen für Kinderwagen vergessen. Wenn wir uns in unsere Komfortzonen zurückziehen und so tun, als gäbe es diese heile Welt, in der alle unsere Kinder lieb haben.

Verlasst diese Komfortzone!

Zeigt, dass es Kinder gibt, bevölkert die Straßen, stürmt die Cafés mit draußen nur Kännchen und Sahnehaube auf dem Cappuccino. Nehmt Eure Kinder mit – damit man nicht vergisst, dass es sie gibt. Dass es uns Familien gibt. Dass wir Bedürfnisse haben. Dass man uns bei politischen Entscheidungen nicht vergessen darf. Dass Kinder Lärm machen. Aber auch ganz entzückend sind und unheimlich viel Spaß machen.

Die Leute sollen sehen, wie schön das Leben mit Kindern ist. Dass sie das Wertvollste sind, was wir haben.

(und so entscheidet sich vielleicht auch die ein oder andere junge Frau, doch schon mit Anfang 30 Kinder zu haben. So sieht vielleicht die ein oder andere Frau, dass das Leben weitergeht mit Kindern. Dass man trotzdem Spaß haben kann, ins Restaurant gehen kann, ins Hotel fahren kann und auf nichts verzichten muss. Dass es Wert ist, dafür eine kleine Jobpause einzulegen. Und so, Ihr seht, worauf ich nach meinem etwas lang geratenen Essay hinauswill: So steigern wir vielleicht dann doch wieder die Geburtenraten!)

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Raus aus der Komfortzone: Wir wollen mehr dicke Bäuche sehen!

Raus aus der Komfortzone: Wir wollen mehr dicke Bäuche sehen!

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15 Kommentare zu “Die Abwesenheit von Kindern in unserer Gesellschaft: Verlasst Eure Komfortzone! – #geburtenraten

  1. Schön geschrieben, aber einen Punkt hast du vergessen. Die Bekannte, bei der das Schwangerwerden einfach nicht klappt, oder die Bekannte, die einfach keibe 2.Schwangerschaft halten kann. Das ist ein Punkt, der ebenfalls zu nimmt. Und das hat nichts mit psych. Druck zu tun. Ja auch, aber eben nicht nur. Oft klappt es einfach nicht / nicht mehr / nicht mehr dauerhaft. Hier in Dresden sind wir glücklicherweise gaaaaaanz weit vorne mit Kindern – und sie sind überall. Zusammen mit ihren selbstbewussten Mamas die sofort beißen, wenn blöde Sprüche kommen. Leider nimmt aber, im Vergleich zu deiner Feststellung due Rücksichtslosigkeit der 20-29jährigen hier dramatisch zu (Ruhezeiten).

    GlG ela

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